1901 -
Neuwied [u.a.]
: Heuser
- Autor: Wagner, Georg, Schneider, Karl Theodor
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schulformen (OPAC): Einklassige Volksschule, Zweiklassige Volksschule
- Regionen (OPAC): Schleswig-Holstein
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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I. Fabeln, Märchen und belehrende
Da konnt,' er doch der Lust nicht
wehren.
Er sah nicht des Kameles Wut
und nicht den Drachen in der Flut
und nicht der Mäuse Tückespiel,
als ihm die Beer' ins Auge fiel.
Er liess das Tier von oben rauschen
und unter sich den Drachen
lauschen
und neben sich die Mäuse nagen,
griff nach den Beerlein mit Be-
hagen.
Sie deuchten ihm zu essen gut,
ass Beer' auf Beerlein wohlgemut,
und durch die Süssigkeit im Essen
war alle seine Furcht vergessen.
Du fragst: Wer ist der thöricht'
Mann,
der so die Furcht vergessen kann?
So wiss’, o Freund, der Mann
bist du;
vernimm die Deutung auch dazu!
Es ist der Drach’ im Brunnen-
grund
des Todes aufgesperrter Schlund,
und das Kamel, das oben droht,
es ist des Lebens Angst und Not.
Du bist’s, der zwischen Tod und
Leben
am grünen Strauch der Welt musst
schweben.
Die beiden, so die Wurzel nagen,
dich samt den Zweigen, die dich
tragen,
zu liefern in des Todes Macht,
die Mäuse heissen Tag und Nacht.
Es nagt die schwarze wohl ver-
borgen
vom Abend heimlich bis zum
Morgen;
es nagt vom Morgen bis zum Abend
die weisse, wurzeluntergrabend.
Und zwischen diesem Graus und
Wust
lockt dich die Beere — Sinnenlust,
dass du Kamel — die Lebensnot,
dass du im Grund den Drachen
— Tod,
dass du die Mäuse — Tag und
Nacht,
vergissest und auf nichts hast acht,
als dass du recht viel Beerlein
haschest,
aus Grabes Brunnenritzen naschest.
Friedr. Rückert.
69. (4.) Nützliche Lehren. (3.)
1. Einmal ist keinmal. Dies ist das erlogenste und schlimmste
unter allen Sprichwörtern; und wer es gemacht hat, der war ein schlechter
Rechenmeister oder ein boshafter. Einmal ist wenigstens einmal, und davon
läßt sich nichts abmarkten. Wer einmal gestohlen hat, der kann sein Leben
lang nimmer mit Wahrheit und mit frohem Herzen sagen: Gottlob! ich
habe mich nie an fremdem Gut vergriffen; und wenn der Dieb erhascht und
gehängt wird, alsdann ist einmal nicht keinmal. — Aber das ist noch nicht
alles, sondern man kann meistens mit Wahrheit sagen: Einmal ist zehnmal
und hundert- und tausendmal. Denn wer das Böse einmal angefangen hat,
der setzt es gemeiniglich auch fort. Wer A gesagt hat, der sagt auch gern
B; und alsdann tritt zuletzt ein anderes Sprichwort ein: Der Krug geht
so lange zum Brunnen, bis er bricht.