1901 -
Neuwied [u.a.]
: Heuser
- Autor: Wagner, Georg, Schneider, Karl Theodor
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schulformen (OPAC): Einklassige Volksschule, Zweiklassige Volksschule
- Regionen (OPAC): Schleswig-Holstein
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Iv. Bilder aus der Erdkunde,
ein, als hätten sie einen ewigen Sommer zu verkündigen. Kupfer- und Zinn-
geschirr schlugen sie zusammen und packten die gebogenen und verderbten
Stücke ein. Bettladen, Tische, Stühle und Bänke verbrannten sie, da doch
viele Klafter dürres Holz im Hofe lagen. Töpfe und Schüsseln warfen sie
entzwei, entweder, weil sie lieber Gebratenes aßen, oder weil sie dachten, nur
eine einzige Mahlzeit allda zu halten.
Unsere Magd ward also mißhandelt, daß sie nicht mehr gehen konnte.
Den Knecht legten sie gebunden auf die Erde, steckten ihm ein Sperrholz in
den Mund und schütteten ihm einen Kübel voll garstigen Mistlachenwassers
in den Leib. Das nannten sie einen schwedischen Trank. Darauf fing man an,
die Steine von den Pistolen ab- und an deren Statt der Bauern Daumen
aufzuschrauben und die armen Schelme so zu foltern, als wenn man hätte
Hexen brennen wollen, wie sie denn auch einen von den gefangenen Bauern
bereits in den Backofen steckten und mit Feuer hinter ihm her waren, ob-
wohl er noch nichts bekannt hatte. Es hatte jeder seine eigene Erfindung,
die Bauern zu peinigen, und also auch jeder Bauer seine besondere Marter.
Allein mein Vater war meinem damaligen Bedünken nach der glücklichste, weil
er mit lachendem Munde bekannte, was andere mit Schmerzen und jämmer-
licher Wehklage sagen mußten. Die Soldaten setzten ihn nämlich ans Herd-
feuer, banden ihn, daß er weder Hände noch Füße regen konnte, und rieben
seine Fußsohlen mit angefeuchtetem Salze, das ihm unsere alte Geiß wieder
ablecken und ihn dadurch also kitzeln mußte, daß er vor Lachen hätte zerbersten
mögen. Das klang so spaßhaft, daß ich, weil ich's nicht besser verstand, von
Herzen mitlachen mußte. In solchem Gelächter bekannte er, was man von
ihm verlangte, und öffnete den verborgenen Schatz, der an Gold, Perlen
und Kleinodien viel reicher war, als man hinter Bauern hätte suchen mögen.
Mitten in diesem Elend wendete ich den Bratspieß und half nachmittags
die Pferde tränken; so gelangte ich zu unserer Magd in den Stall, die gar
jämmerlich aussah. Sie sprach zu mir mit schwacher Stimme: „O Bube,
lauf weg, sonst werden dich die Reiter mitnehmen. Such', daß du davon-
kommst! Du siehst ja wohl, wie übel es hier steht!" Darauf sank sie wie
tot zurück. Nach Grimmelshausen. (Aus Heincckes Lesebuch.)
273. vor grojfee Kurfürst.
Des Kurfürsten äussere Erscheinung war Ehrfurcht gebietend. Er
war nicht über Mittelgrösse hinaus; allein er wusste seinen Gebärden so
viel Majestät zu verleihen, dass er zu wachsen schien, wenn er sich be-
wegte. Die mächtige, über den scharf geschnittenen Mund ragende Adler-
nase, die feurigen Augen, die hohe Stirn liessen sofort den ausserordent-
lichen Menschen erkennen. Die Perücke, die er im höheren Alter nach
französischer Sitte trug, erhöhte den hehren Eindruck seiner Erscheinung.