1905 -
Leipzig [u.a.]
: Klinkhardt
- Autor: Lange, Karl, Jütting, Wübbe Ulrich, Weber, Hugo
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Regionen (OPAC): Sachsen
- Inhalt Raum/Thema: Weltkunde
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
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es nicht herauszusteigen; Speise und Trank musste man ihm an
den Wagen bringen; denn dem Wirt war gesagt, dass der
„Bürger“ am Sterben sei. Nur mit dem Sterben konnte er sein
Leben schützen. Wie grausam klang dies an sein Ohr, das nur das
Flüstern der vornehmen Gesellschaft und nur den Lärm des Hofes
gewohnt war, wenn jetzt aus jeder Dorfschenke die wüsten Stim-
men des Aufruhrs ihm entgegenhallten! Denn jedes Haus war
eine Republik geworden; jeder Hahn im Dorf krähte égalité!
(Gleichheit!). „Nur schnell!“ sprach der kranke Mann, so oft
ein neuer Postillon auf den Wagen stieg, und zeigte ihm ein
Goldstück, bis er die Hengste in wilder Flucht über die steinigen
Strassen trieb.
In tiefer Nacht fuhren sie über die Grenze von Frankreich,
und als der Morgen graute, standen sie auf deutscher Erde. Es
war ein Herbstmorgen blau und klar, von den Bäumen wehte
das letzte Laub — hier sollten sie die letzten Tage ihres Lebens
verbringen. In Deutschland war es noch stille; wie ein schwerer
Schlummer lag die Ruhe über dem Land. Und auf dem fran-
zösischen Wagen sais ein deutscher Postillon und blies. Sie
hatten das Lied noch nie gehört, der Marquis und die Marquise,
aber sie verstanden es doch; denn das deutsche Lied bedeutet
Friede! Karl Stieler.
51. Das Schloss Boncourt,
1. Ich träum als Kind mich zurücke
und schüttle mein greises Haupt;
wie sucht ihr mich heim, ihr Bilder,
die lang ich vergessen geglaubt!
2. Hoch ragt aus schatt’gen Gehegen
ein schimmerndes Schloss hervor;
ich kenne die Türme, die Zinnen,
die steinerne Brücke, das Tor.
3. Es schauen vom Wappenschilde
die Löwen so traulich mich an;
ich grüsse die alten Bekannten
und eile den Burghof hinan.
4. Dort liegt die Sphinx am Brunnen,
dort grünt der Feigenbaum,
dort hinter diesen Fenstern
verträumt’ ich den ersten Traum.
5. Ich tret in die Burgkapelle
und suche des Ahnherrn Grab;
dort ist’s, dort hängt vom Pfeiler
das alte Gewaffen herab.
6. Noch lesen umflort die Augen
die Züge der Inschrift nicht,
wie hell durch die bunten Scheiben
das Licht darüber auch bricht.
7. So stehst du, o Schloss meiner Väter,
mir treu und fest in dem Sinn
und bist von der Erde verschwunden,
der Pflug geht über dich hin.
8. Sei fruchtbar, o teurer Boden,
ich segne dich mild und gerührt
und segn’ ihn zwiefach, wer immer
den Pflug nun über dich führt.
9. Ich aber will auf mich raffen,
mein Saitenspiel in der Hand,
die Weiten der Erde durchschweifen
und singen von Land zu Land.
Adelbert y. Chamisso.