1905 -
Leipzig [u.a.]
: Klinkhardt
- Autor: Lange, Karl, Jütting, Wübbe Ulrich, Weber, Hugo
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Regionen (OPAC): Sachsen
- Inhalt Raum/Thema: Weltkunde
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
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105* Das Natioualderrkmal auf dem Niederwald.
(Mit Abbildung.)
Es war am 28. September 1883, als der greise Kaiser
Wilhelm, umgeben von den Fürsten des Reiches, seinen Ministern,
den Heerführern des letzten Krieges, den Abgeordneten der Volks-
vertretungen, der Universitäten und zahlloser Vereine und unter dem
Jubelrufe einer ungeheuren Volksmenge das Nationaldenkmal weihte
mit den Worten: „Den Gefallenen zum Gedächtnis, den Lebenden
zur Anerkennung, den künftigen Geschlechtern zur Nacheiferung!"
In einer der schönsten Rheinlandschaften, nahe d.em weinge-
segneten Rüdesheim, erhebt sich das Denkmal 25 Meter hoch über
dem Niederwalde. Riesengroß, frei und meilenweit sichtbar ragt sie
empor, die Germania. Ihr reiches, blondes Haar wallt, wie von
frischem Winde bewegt, herab. Die Linke stützt sich aus das friedlich
gesenkte deutsche Schwert, und hoch hebt die Rechte des Reiches neu
erstandene Krone, unerreichbar allen Feinden und Neidern, in die freie
Luft. Ein Eichenkranz ruht auf dem wunderschönen Haupte, und
Lorbeerkränze zieren die Krone und das Schwert. Die Gewandung
ist reich und edel gehalten. Die vollendete weibliche Schönheit wird
erhöht durch den Ausdruck der Herrscherwürde, der Entschlossenheit,
der Erhabenheit. Schillings Meisterhand hat eine Germania ins
Dasein gerufen, wie sie so groß und schön bisher von keiner Künstler-
hand geschaffen wurde.
Von mächtiger Wirkung sind auch die audern Figuren des
Denkmals. In der Mitte des untern Sockels befindet sich eine
Bronzegruppe: der alte Vater Rhein überreicht der jugendlichen
Mosel, der neuen Grenzhüteriu, das Wachthorn. Zu beiden Seiten
erheben sich zwei gewaltige Gestalten als bedeutsame Sinnbilder: der
Krieg, ein feuriger Jüngling, in die Kriegsdrommete schmetternd, und
der Friede, eine Figur mit Palmenzweig und Füllhorn. Zwischen
beiden ist auf dem oberen Sockel ein figurenreiches Bild in erhabener
Arbeit angebracht, das nach des Künstlers eigenen Worten die
„Wacht am Rhein" in dem Augenblicke darstellt, als sich die deutschen
Krieger um ihren königlichen Führer scharen. In der Mitte sitzt der
Kaiser hoch zu Roß; um ihn versammelt sind die Fürsten und Feld-
herren, die ihm 1870 begeistert folgten. Es sind nahe an 200 Figuren,
die meisten in Lebensgröße und porträtähnlich. In gleicher Höhe
mit diesem vordern stehen die beiden großen Seitenbildwerke, die in
ergreifender Weise des „Kriegers Abschied" und der „Krieger Heim-
kehr" darstellen. Von der Vorderseite des Unterbaues strahlt die
Inschrift herab: „Zum Andenken an die einmütige, siegreiche Erhebung
des deutschen Volkes und an die Wiederherstellung des Deutschen
Reiches 1870—1871."
Herrlich ist das Stück deutscher Erde, über welches die Ger-
mania hütend und herrschend hinausschaut. Zwischen den von