1905 -
Leipzig [u.a.]
: Klinkhardt
- Autor: Lange, Karl, Jütting, Wübbe Ulrich, Weber, Hugo
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Regionen (OPAC): Sachsen
- Inhalt Raum/Thema: Weltkunde
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
280
ließ so viel Land um Paris, als er bekommen konnte, mit Kartoffeln
bepflanzen. Kein Landwirt erhielt eine Knolle mehr. Als die Ernte-
zeit kam, stellte er bewaffnete Feldhüter an und ließ überall bekannt
machen, niemand solle bei schwerer Strafe sich unterfangen, eine Kartoffel-
pflanze auf diesen Feldern anzurühren oder gar eine Knolle zu ent-
wenden. Dieselben seien nur für die Tafel des Königs und des
hohen Adels, nicht für gemeine Leute bestimmt. Das wirkte. Die
Feldhüter wachten zwar bei Tage, schliefen aber bei Nacht. Neu-
gierig und neidisch schlichen die Landleute heran. Warum sollten nur
die Vornehmen etwas Gutes genießen? Also kamen immer mehr,
um sich in den Besitz der verbotenen Früchte zu setzen und, soviel sie
konnten, davon zu stehlen. Und siehe da, wie prächtig schmeckten die
verbotenen Früchte, die königlichen Kartoffeln! Was Parmentier
wünschte, war erreicht; die aufgenötigte Wohltat hatte man verschmäht,
des erstohlenen Gutes freute man sich und hegte und pflegte es als
etwas Kostbares.
In Deutschland hören wir bereits am Ende des 16. Jahrhunderts
von den Kartoffeln. Als der Kurfürst Christian I. von Sachsen im
Jahre 1591 den Landgrafen von Hessen-Kassel um einige seltene aus-
ländische Pflanzen seines Lustgartens bat, fügte dieser der Sendung
einen Brief bei, in dem es hieß: „Wir überschicken Eurer Liebden
unter anderen ein Gewächs, so wir vor wenig Jahren ans Italien
bekommen und Tartouphli genannt wird. Dasselbe wächst in der
Erde und hat schöne Blumen, guten Geruch, und unten an den Wurzeln
hat es viele Knollen hängen; dieselben, wenn sie gekocht werden, sind
gar anmutig zu essen. Man muß sie erstlich in Wasser aufsieden
lassen, so geht die oberste Schale ab. Darnach thut man die Brühe
davon und siedet sie in Butter vollends gar." Doch dauerte es noch
geraume Zeit, bis die Kartoffel sich bei uns einbürgerte. Wir finden
sie zuerst 1709 urkundlich erwähnt in dem vogtländischen Dorfe
Würschnitz, wohin sie ein wandernder Zimmergesell aus England oder
aus Hamburg mitgebracht und in seinem Garten angebaut haben
soll. Im Meißnischen lachten die Bauern lange über die vogtländischen
Knollen, wie man die Kartoffeln nannte; im Vogtlande und Erzgebirge
aber genoß man sie anfangs wie Butter zum Brote. Man ver-
sandte sie wie ein seltenes Geschenk, zu dessen Genuß man Gäste lud.
Jetzt baut man in Sachsen jährlich gegen zwölf Millionen Scheffel
Kartoffeln, und niemand bedient sich mehr des alten Verschens:
Kartoffeln, nein, die mag ich nicht,
sie sind ein neugemacht Gericht,
ich laß es gern beim alten.
Über die Hindernisse und Schwierigkeiten, die der Einführung
der Kartoffeln in Preußen im Wege standen, gibt ein damaliger
Kolberger Bürger, Joachim Nettelbeck, in seiner Lebensgeschichte inter-
essante Mitteilungen. Er erzählt: „Ich mochte wohl ein Bürschchen