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1. Prosalesebuch für Ober-Sekunda - S. 5

1900 - Leipzig [u.a.] : Ehlermann
A. W. Schlegel: Wesen und Ursprung der Poesie. 5 nie so gänzlich depoetisiert werden kann, daß sich nicht überall in ihr eine Menge zerstreute poetische Elemente finden sollten, auch bei dem willkürlichsten und kältesten Verstandesgebrauch der Sprach- zeichen, wie viel mehr im gemeinen Leben, in der raschen, unmittel- baren, oft leidenschaftlichen Sprache des Umgangs. Viele Wendungen, Redensarten, Bilder und Gleichnisse, die, sogar im plebejischten Tone, vorkommen, sind unverändert auch für die würdige und ernste Poesie brauchbar. Ebenso aber, wie das Geschmückte, Bild- liche im einzelnen Ausdruck keineswegs hinreicht die wirkliche Gegen- wart der Poesie in der ganzen Zusammensetzung zu beweisen, be- weist auf der andern Seite der Mangel daran in einzelnen Stellen ebenso wenig die Abwesenheit des poetischen Prinzips. Eine uralte, schlichte und bürgerliche Meinung ist die, alles in Versen Geschriebene für Poesie zu halten. Ein solch empirisches Merkmal ist in der Kindheit der Kunst verzeihlich, wo es auch nichts weiter prätendiert als sinnliche Zusammenfassung der Masse. Uns hat aber leider eine millionenfache Erfahrung belehrt, daß sich ganz prosaische Verse machen lassen, und man darf das unselige, so außerordentlich kultivierte Handwerk der Versemacherei nicht noch durch schöne Titel begünstigen. Schon bei den Griechen war selbst in der schönsten, blühendsten Periode ihrer Poesie, als nicht leicht jemand ohne natürliche Eingebung dichtete, ehe noch gelehrte Eitel- keit ihre Unschuld zerstört und sie mit willkürlicher Künstelei be- handelt hatte, diese populäre Meiuung nicht ganz richtig, und Aristoteles bestreitet sie deswegen auch. Denn es gab lokale, nur für ein gewisses Zeitalter gültige Anlässe manches in Versen abzu- fassen, was zwar eben durch diese Entstehungsart einen von der Prosa verschiedenen Charakter im ganzen Vortrage beibehielt, aber doch seinem Inhalte nach nicht eigentlich dem dichtenden Vermögen angehörte. Allein für uns wäre der Satz nicht einmal mehr richtig, wenn er auch folgendermaßen abgeändert würde: nur das ist Poesie, was in Versen abgefaßt werden soll; wiewohl man alsdann nichts daraus erführe, denn nun würde sich erst fragen: was soll denn in Versen abgefaßt werden? Es hat sich nämlich in der roman- tischen Poesie eine Gattung aufgethan, welche nicht nur ohne Verse bestehen kann, sondern in vielen Fällen die Versifikation gänzlich verwirft: dies ist der Roman. Wir werden uns wohl hüten Theorien ohne historisches Fundament in die Luft zu bauen, denen zulieb nachher das unübersehbare Gebiet der echten Poesie will- kürlich verengt werden muß. Mit Worterklärungen und zufällig aufgehaschten Merkmalen ist demnach nichts ausgerichtet. Um dem Wesen der Poesie analytisch näher zu kommen, müßte man wenigstens ein poetisches Ganze als
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