1908 -
Berlin
: Grote
- Autor: Muff, Christian, Hopf, Jacob, Paulsiek, Karl
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1895
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
Curtius: Der Wettkampf.
163
Herden, sondern vor allem die Blüte der Jugend in ihrer Gesundheit und
Kraft den Göttern darstellen zu müssen; und zwar nicht bloß in feierlichen
Aufzügen, in festlichen Tänzen, sondern auch in freudigem Wettkampfe sollten
ihre Jünglinge zeigen, daß sie die reichlich empfangenen Gottesgaben zu
voller Entwicklung zu fördern nicht träge gewesen seien. So sind die Wett-
kämpfe ein Opfer des Danks, dessen die Götter sich freuen.
Darum sind alle regelmäßigen Wettkämpfe, die wir in geschichtlicher
Zeit nachweisen können, an Götterfeste geknüpft; ihre Schauplätze sind ur-
sprünglich die Tempelhöfe, die eigentlichen Zuschauer sind die Götter. Ihnen
wird ja alles verdankt, was zum Wettkampfe befähigt: die Spannkraft der
Muskeln, die im Laufe ausdauernde Brust, die Harmonie der Glieder, die
Stimme des Gesangs wie die geistbeseelte Rede; was also immer an
Ehre und Gewinn dadurch erworben wird, gebührt von Rechts wegen der
Gottheit. Der Mensch hat neben ihr keinen Anspruch. Die gewonnenen
Dreifüße werden also zum dauernden Schmucke um das Haus des Gottes
aufgestellt, und wer den goldenen Siegespreis, den er mühevoll errungen
hat, etwa heimtragen wollte, der würde dem Gott das Seine nehmen, er
würde der Strafe des Tempelraubes verfallen, und die Gemeinde, welche
ihn schützen wollte, müßte aus der Genossenschaft des gottesdienstlichen Vereins
ausgestoßen werden.
Je deutlicher sich die Hellenen in ihrem Volksbewußtsein von den
Barbaren unterscheiden lernten, um so lauterer und eigentümlicher haben
sie die Idee des Wettkampfes entwickelt, und diejenigen unter ihnen, welche
jenen Gegensatz am kräftigsten darzustellen berufen waren, die Dorier,
haben am entschiedensten dahin gewirkt, jede Rücksicht auf Eigennutz und
alle unreinen Beimischungen zu entfernen.
Die Wertpreise verschwinden, damit keiner, den schnöder Gewinn an-
lockt, an den heiligen Schauspielen sich beteilige. Der Kranz von Blättern,
der Laubzweig, die wollene Binde haben ja keinen anderen Wert, als daß
sie Symbole des Sieges sind, die von den Göttern selbst — wie die dem
Timoleon von der Tempeldecke auf das Haupt fallende Binde — oder in
der Gottheit Namen von den stellvertretenden Preisrichtern vor den Augen
des Volks ausgeteilt werden.
Der Kranz ist vom Baume, welcher dem Gotte heilig ist. Wer mit
dem Kranze angetan wird, stellt sich dadurch als ein dem Gotte Zugehöriger
dar; er wird ihm zugeeignet, und gleichwie das Opfertier bekränzt wird,
damit es als göttliches Eigentum gegen jede unheilige Menschenhand sicher
gestellt werde, wie Häuser, Straßen, Plätze durch ihre Bekränzung den
Göttern sinnbildlich zugeeignet werden, deren Laub sie tragen, so wird auch
der Sieger wie ein den Göttern wohlgefälliges Opfer mit Binden geschmückt,
11*