1908 -
Berlin
: Grote
- Autor: Muff, Christian, Hopf, Jacob, Paulsiek, Karl
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1895
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Jahn: Der Apoll von Belvedere.
Apollo stellt Hektor wieder her und bringt ihn zu den Seinigen in die
Schlacht zurück.
„Vor nun drangen die Troer mit Heereskraft; Hektor voranging
Mächtigen Schritts, vor ihm selbst dann wandelte Phöbus Apollon,
Eingehüllt in Gewölk, und trug die stürmische Ägis,
Grauenvoll, ranhumsäumt, hochfeierlich, welche Hephästus
Schmiedet' und Zeus dem Donnerer gab zum Entsetzen der Männer;
Diese trug in den Händen der Gott und führte die Völker."
Die Achäer harren der angreifenden Troer, der Kampf beginnt.
„Weil noch still die Ägis einhertrug Phöbus Apollon,
Haftete jegliches Heeres Geschoß, und es sanken die Völker.
Aber sobald er sie gegen der reisigen Danaer Antlitz
Schüttelte, laut aufschreiend und fürchterlich, jetzo verzagte
Ihnen im Busen das Herz und vergaß des stürmischen Mutes."
Wie die Herden vor Raubtieren,
„Also entflohn kraftlos die Danaer, ganz von Apollons
Schrecken betäubt; denn die Troer und Hektor ehrt' er mit Siegsruhm."
Im Homer also fand der Künstler das Bild des Ägiserschütterers
Apollo, wie wir uns die vatikanische Statue vorstellen müssen. In die
Hand mußte er ihm die Ägis geben, welche er nicht, wie Zeus und Athene,
auf die ihnen eigentümliche Weise umgehängt trägt, sondern als eine von
Zeus ihm für einen bestimmten Zweck verliehene Waffe momentan gebraucht.
Denkt man sich den Apoll von Belvedere mit der Ägis in der erhobenen
Linken ergänzt, so bietet zunächst die Statue ein ungleich besser abgeschlossenes
Ganzes als mit dem Bogen in der Hand, der, wie immer ausgeführt, einen
unruhigen und zerstreuenden Anblick machen müßte. Vor allem aber ge-
währt die Ägis jenes volle Verständnis des prägnanten Moments, den die
Statue zur Anschauung bringt, welches vorher verlangt wurde. Die Hand-
luug des Gottes und ihre Wirkung ist eins, fällt in einen und denselben
Augenblick zusammen, wie in seiner Haltung und Stellung Ruhe und Be-
wegung, Zorn und Heiterkeit in seinem Gesicht im Ubergangsaugenblick
zusammengefaßt erscheinen. Die Ägis ist die unmittelbar vernichtende gött-
liche Waffe; sie zeigen und verderben ist eins, eine Abwehr dagegen ist un-
denkbar; wer sie in der Hand des Gottes erblickte, hatte den unmittelbar
sinnlichen Eindruck, daß jeder Gegner vor ihm erlegen sein mußte. Die
Frage, ob das Ziel wirklich getroffen sei, ist ebenso müßig als die nach
dem Gegner, wer er sei und welcher Art, ob einer, ob viele; alles ver-
schwindet vor der völligen Gewißheit der Vernichtung, welche der bloße
Anblick der Ägis bringt.