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1. Teil 7 = Für Obersekunda - S. 199

1918 - Leipzig [u.a.] : Teubner
199 drängt sich ihm mehr und mehr auf, und immer häufiger werden die Klagen über den Verfall der Zucht und Sitte. Diewärme des Gefühls und der Empfindung wird durch das Hervorbrechen einer kühlern Betrach- tungsweise vielfach beeinträchtigt, und in den Jubel und die Klage mischt sich die Lehrhaftigkeit, ja selbst die spitzfindige Erörterung, Elemente, die sich mit dem reinen lyrischen Tone des Liedes nimmer vertragen. Dieses Vorwalten der Reflexion verleiht dem Minnesänge Walthers im allge- meinen etwas Unlebendiges. Überhaupt war diesem vielseitigsten der alt- deutschen Liederdichter der Kreis des Minnegesanges zu enge, er fühlte das Bedürfnis einer umfassenden Weltanschauung; er richtete das Lied auf die wichtigsten Angelegenheiten des Vaterlandes und der Kirche, und bei diesen ist er mit voller Seele. Ob auch ohne äußern Anlaß, ohne die Stürme, die an der Neige des 12. Jahrhunderts hereinbrachen und das Reich in seinen Grundfesten erbittern machten, Walthers Poesie diese Richtung, die ihn so sehr von seinen Kunstgenofsen vor und nach ihm unterscheidet, jemals genommen hätte? Schwerlich. Denn wie jeder große Dichter ist auch er ein Kind seiner Zeit und unter ihren Einflüssen zu dein geworden, was er ist. Wäre Heinrich Vi. ein längeres Leben beschieden gewesen und des Reiches Macht auf dem Höhepunkt geblieben, den sie unter ihm erreicht, so ist kaum anzunehmen, daß Walther sich von der Bahn der erotischen und ethischen Dichtung, auf der alle übrigen Lyriker wandelten, entfernt hätte. Jedenfalls ist es Tatsache, daß der unselige, mit Kaiser Heinrichs Tode anhebende Wählst re it1) es war, der ihn aus seiner behaglichen Ruhe am Wiener Hofe aufschreckte und aus seinem Geiste die ersten Funken patrio- tischer Begeisterung schlug. Die ältesten Gedichte, deren Entstehungszeit bestimmt werden kann, fallen, wenn nicht noch in des Kaisers Todesjahr, doch in den Anfang des Jahres 1198. Mit diesem großen und so ver- hängnisvollen Wendepunkte unserer Geschichte sehen wir Walthers Poesie das politische Gebiet betreten und jene Richtung einschlagen, der er durch volle dreißig Jahre unerschütterlich treu geblieben und von der er bis zu seinem Tode nie auch nur um eines Fußes Breite abgewichen ist. Über die Wahl, die er zwischen den beiden Bewerbern um die deutsche Krone treffen sollte, war dieser klare, scharfblickende und gesinnungsvolle Geist keinen Augenblick schwankend: mit voller Entschiedenheit wandte er sich demjenigen zu, der burcf) seine Geburt auf die durch lange Gewohn- heit geheiligte erbliche Nachfolge ein unbestreitbares Recht hatte und auf dessen Seite alle standen, welche deutsch dachten und fühlten und des Reiches Größe und Wohlfahrt über die eigenen persönlichen Interessen stellten: Philipp von Schwaben. Noch von Wien aus erhob er seine 1) Bgl. S. 113, Nr. 60
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