Anfrage in Hauptansicht öffnen

Dokumente für Auswahl

Sortiert nach: Relevanz zur Anfrage

1. Teil 7 = Für Obersekunda - S. 300

1918 - Leipzig [u.a.] : Teubner
300 schwer wurden, die aber den Lesern und Beschauern viel weniger gelun- gen erscheinen. Ich erinnere nur an Goethe, der nach Eckermanns Bericht einmal geäußert hat, seine dichterischen Werke schätze er nicht so hoch wie das, was er in der Farbenlehre geleistet. Soll ich nun Ihren Versicherungen und den Urhebern der an mich gelangten Adressen Glauben schenken, so mag es mir — wenn auch in bescheidenerem Maße — ähnlich gegangen sein. Erlauben Sie mir also. Ihnen kurz zu berichten, wie ich in meine Arbeitsrichtung hin- eingekommen bin. In meinen ersten sieben Lebensjahren war ich ein kränklicher Knabe, lange an das Zimmer, oft genug an das Bett gefesselt, aber mit lebhaftem Triebe nach Unterhaltung und nach Tätigkeit. Die Eltern haben sich viel mit mir beschäftigt,' Bilderbücher und Spiel hauptsächlich mit Bauhölz- chen halfen mir sonst die Zeit ausfüllen. Dazu kam ziemlich früh auch das Lesen, was natürlich den Kreis meiner Unterhaltungsmittel sehr er- weiterte. Aber wohl ebenso früh zeigte sich ein Mangel meiner geistigen Anlage darin, daß ich ein schwaches Gedächtnis für unzusammenhängende Dinge hatte. Als erstes Zeichen davon betrachtete ich die Schwierigkeit, deren ich mich noch deutlich entsinne, rechts und links zu unterscheiden; später, als ich in die Schule kam, wurde es mir schwerer als anderen, die Vokabeln, die unregelmäßigen Formen der Grammatik, die eigen- tümlichen Redewendungen mir einzuprägen. Der Geschichte vollends, wie sie uns damals gelehrt wurde, wußte ich kaum Herr zu werden. Stücke in Prosa auswendig zu lernen, war mir eine Marter. Dieser Mangel ist natürlich nur gewachsen und eine Plage meines Alters geworden. Wenn ich aber kleine mnemotechnisches Hilfsmittel hatte, auch nur solche, wie sie das Metrum und der Reim in Gedichten geben, ging das Auswendiglernen und das Behalten des Gelernten schon viel besser. Ge- dichte von großen Meistern behielt ich sehr leicht, etwas gekünstelte Verse von Meistern zweiten Ranges lange nicht so gut. Ich denke, das wird wohl von dem natürlichen Fluß der Gedanken in den guten Gedichten abhängig gewesen sein, und bin geneigt, in diesem Verhältnis eine wesent- liche Wurzel ästhetischer Schönheit zu suchen. In den oberen Gymnasial- klassen konnte ich einige Gesänge der Odyssee, ziemlich viele Oden des Horaz und große Schätze deutscher Poesie rezitieren. In dieser Richtung befand ich mich also ganz in der Lage unserer ältesten Vorfahren, welche noch nicht schreiben konnten und deshalb ihre Gesetze und ihre Geschichte in Versen fixierten, um so auswendig zu lernen. Was dem Menschen leicht wird, pflegt er gern zu tun; so war ich I) I) Mnemotechnik: Gedächtnis-, Erinnerungskunst, insbesondere Hilfsmittel, um die Gedächtniskraft zu stärken.
   bis 1 von 1
1 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 1 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer