1918 -
Leipzig [u.a.]
: Teubner
- Autor: Kühne, Alfred, Evers, Matthias, Walz, Hermann
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1905
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
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schwer wurden, die aber den Lesern und Beschauern viel weniger gelun-
gen erscheinen. Ich erinnere nur an Goethe, der nach Eckermanns
Bericht einmal geäußert hat, seine dichterischen Werke schätze er nicht so
hoch wie das, was er in der Farbenlehre geleistet.
Soll ich nun Ihren Versicherungen und den Urhebern der an mich
gelangten Adressen Glauben schenken, so mag es mir — wenn auch in
bescheidenerem Maße — ähnlich gegangen sein. Erlauben Sie mir also.
Ihnen kurz zu berichten, wie ich in meine Arbeitsrichtung hin-
eingekommen bin.
In meinen ersten sieben Lebensjahren war ich ein kränklicher Knabe,
lange an das Zimmer, oft genug an das Bett gefesselt, aber mit lebhaftem
Triebe nach Unterhaltung und nach Tätigkeit. Die Eltern haben sich viel
mit mir beschäftigt,' Bilderbücher und Spiel hauptsächlich mit Bauhölz-
chen halfen mir sonst die Zeit ausfüllen. Dazu kam ziemlich früh auch
das Lesen, was natürlich den Kreis meiner Unterhaltungsmittel sehr er-
weiterte. Aber wohl ebenso früh zeigte sich ein Mangel meiner geistigen
Anlage darin, daß ich ein schwaches Gedächtnis für unzusammenhängende
Dinge hatte. Als erstes Zeichen davon betrachtete ich die Schwierigkeit,
deren ich mich noch deutlich entsinne, rechts und links zu unterscheiden;
später, als ich in die Schule kam, wurde es mir schwerer als anderen,
die Vokabeln, die unregelmäßigen Formen der Grammatik, die eigen-
tümlichen Redewendungen mir einzuprägen. Der Geschichte vollends, wie
sie uns damals gelehrt wurde, wußte ich kaum Herr zu werden. Stücke
in Prosa auswendig zu lernen, war mir eine Marter. Dieser Mangel
ist natürlich nur gewachsen und eine Plage meines Alters geworden.
Wenn ich aber kleine mnemotechnisches Hilfsmittel hatte, auch nur
solche, wie sie das Metrum und der Reim in Gedichten geben, ging das
Auswendiglernen und das Behalten des Gelernten schon viel besser. Ge-
dichte von großen Meistern behielt ich sehr leicht, etwas gekünstelte Verse
von Meistern zweiten Ranges lange nicht so gut. Ich denke, das wird
wohl von dem natürlichen Fluß der Gedanken in den guten Gedichten
abhängig gewesen sein, und bin geneigt, in diesem Verhältnis eine wesent-
liche Wurzel ästhetischer Schönheit zu suchen. In den oberen Gymnasial-
klassen konnte ich einige Gesänge der Odyssee, ziemlich viele Oden des
Horaz und große Schätze deutscher Poesie rezitieren. In dieser Richtung
befand ich mich also ganz in der Lage unserer ältesten Vorfahren, welche
noch nicht schreiben konnten und deshalb ihre Gesetze und ihre Geschichte
in Versen fixierten, um so auswendig zu lernen.
Was dem Menschen leicht wird, pflegt er gern zu tun; so war ich I)
I) Mnemotechnik: Gedächtnis-, Erinnerungskunst, insbesondere Hilfsmittel, um die
Gedächtniskraft zu stärken.