1916 -
Trier
: Lintz
- Autor: Genniges, E., Buschmann, Johannes
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): Jungen
90
Dritter Abschnitt.
Deutsche Dichtung von Her Mitte Hes 18. Jahrhunderts
bis zu Goethes Tode. 1748—1832.
(Die Zeit der klassischen Vollendung der deutschen Poesie. Nachdem die Herrschaft
des Französischen gebrochen und durch die neu erschlossene Kenntnis des Altertums der
Dichtung neue Wege gewiesen sind, Rückkehr zur nationalen Dichtung. Entwicklung,
Mittelstufen und Höhepunkt bezeichnen: Klopstock und Wieland, Lessing und Herder,
Goethe und Schiller.)
1. Die deutsche Literatur hat eine eigenartige Erscheinung aufzuweisen:
Sie ist zweimal zur höchsten Vollendung emporgewachsen, hat zweimal in dem
Glanze der Jugendblüte gestrahlt. Das erstemal von 1100 —1300; die zweite
Blütezeit hob an mit der Mitte des 18. Jahrhunderts. Nachdem der Einfluß
des Französischen, durch des großen Friedrich Siege mit dem Schwerte, durch
Lessings Kritik mit der Feder, gebrochen war, wurde auf dem Wege des
in seiner wahren Bedeutung neu erschlossenen Altertums auch die Rückkehr zur
nationalen Dichtung gefunden. Die Dichter behandelten nicht mehr sklavisch
der Fremde entlehnte Stoffe, spielten nicht mehr mit angelernten Gefühlen
und Empfindungen; sie sangen von dem Höchsten und Herrlichsten, was das
Menschenherz bewegt, und über der Bildung ihres Volkes stehend, wurden sie
seine Lehrer und Erzieher. Drei Dichterpaare sind es, welche die Entwicklung,
die Mittelstufen und den Höhepunkt dieser zweiten Blüteperiode unserer Lite-
ratur kennzeichnen: Klopstock und Wieland, Lessing und Herder, Goethe
und Schiller.
2. Der Höhepunkt liegt um die Wende der beiden Jahrhunderte und
fällt in die Zeit des hinsterbenden deutschen Reiches. Während sonst die Kunst
nur nach einer Zeit gewaltiger Regungen auf politischem Gebiete ihre Blüten
treibt, sollte jetzt gerade die Dichtkunst Deutschlands politische Wiedergeburt
mit vorbereiten helfen.
3. Klopstock (1724—1803) und Wieland (1733—1813) gingen
noch unmittelbar aus den literarischen Kämpfen der vorigen Periode hervor,
Klopstock im Anschluß an die ausmalende religiöse Poesie der Engländer,
Wieland im Anschluß an die sinnlich leichte Poesie der Franzosen. Klopftocks
„Messias" (1748 die drei ersten Gesänge) war die erste nationale Dichtung;
durch den tiefreligiösen Sinn, dem es entstammte, durch die Großartigkeit der
Schilderung und den sittlichen Ernst, der das Ganze erfüllt, übte dieses Werk
eine unermeßliche Wirkung auf die Nation. In Klopstocks „Oden" erklangen
zum ersten Male wieder aus der Tiefe eines reichen Gemütes die Töne er-
habener, frommer Begeisterung, inniger Freundschaft und Liebe und eines
hinreißend starken Baterlandsgefühles. — Wielands Werke sind niemals
recht zum geistigen Eigentum des deutschen Volkes geworden; auch fallen seine
besseren Schöpfungen, „Die Abderiten" (1774) und der „Oberon" (1780),
bereits in eine Zeit, wo der Genius der deutschen Dichtkunst Männern wie
Goethe und Schiller den Weg zur Höhe bahnte. Dennoch ist seine Bedeutung