Anfrage in Hauptansicht öffnen

Dokumente für Auswahl

Sortiert nach: Relevanz zur Anfrage

1. Teil 5 - S. 118

1910 - Straßburg : Bull
118 sich wölbt, Welt gebaut ist, Winde brausen und die Wasser zur Ser hinströmen"? Ja, bis in unsere Tage hinein klingen die alliterierenden Formeln wie Eigen und Erbe, Friede und Freundschaft, Herz und Hand, Haus und Hof, Haut und Haar, Land und Leute, Leib und Leben, Nacht und Nebel, See und Sand, Wind und Wetter, als die Reste einer Zeit, in der die Poesie zur Gefährtin des Deutschen wurde, wo irgend er seine Seele erhebt, wo sein Gemüt sich weitet, wo sein Geist einen über- schauenden Flug nimmt. Chorlieder begleiten die großen Momente des Privatlebens und des öffentlichen Lebens. Ein Chorgcsang empfängt die vermählte Braut und führt sie dem Bräutigam zu. In feierlichem Trauerchore wird das Lob der Toten gesungen. Unter Gesang gchts zur Schlacht und zum Opfer. Da besingen sie vor dem Kampfe den helfenden Gott oder die Taten der Vorfahren und schöpfen Mut aus dem Ruhme der Ahnen. Wer hat ihnen die Lieder gedichtet? In unabsehbarer Ferne der Zeiten verliert sich ihr Ursprung, und gleiches Geheimnis deckt die Ent- stehung der alten Heldenlieder wie der Tanzreihen, unter deren Gesang das junge Volk im Dorfe reihenweis sich im Takte hin und her bewegte. Wie sich beim Reihen der Vorsänger allmählich aus der Menge der Tänzer absonderte (noch heute steht in manchem Kinderspiel ein einzelnes der Reihe der andern gegenüber, auch eine Erinnerung aus alter Zeit), so tritt auch aus der großen Menge der sangesfrohen Leute nach und nach der Dichter hervor, dem die Götter die Gabe des Liedes in beson- derem Maße gegeben haben. Noch wagt er es nicht, von den Empfin- dungen der eignen Brust zu reden. Im tiefen Herzen bleibt es verschlossen, was ihn als einzelnen angeht, aber das, was alle bewegt, die Großtaten der Vorfahren, ihr leuchtendes Beispiel, ihr Sieg und Tod in rühmlicher Schlacht, das drängt sich ihm über die Lippen, und so wird die erzählende, die epische Dichtung die älteste Tochter jener urwüchsig schaffenden Volkspoesie. An Stoff fehlte cs ihr nicht. Jeder Stamm hatte seine eignen Helden, seine eignen Sagen, und wenn im Norden das schön geglättete Ruderschiff, das Meerroß, aus dem die Sachsen über die wogende See dahinritten, im Mittelpunkt all der Lieder von Sceranb, von kühnen Plünderzügen, von Wanderfahrten der Helden stand, wenn dort das Leben des ewigen Meeres die schöpferische Phantasie des Sängers befruchtete, so war es im südlichen Binnenlande das Geheimnis des Waldes, über dessen Wipfel Altvater Wodan im brausenden Zuge der Seinen dahinfuhr, aus dem immer ueue Gesänge hervorquollen. Noch lebten die alten Götter. Vielfach verflochten sich ihre Geschicke mit denen der menschlichen Helden, und wie Gottesdienst berührte es die streitbaren Männer, wenn das Lied von der Ahnen hohen Taten sie zurückführte zu dem übermächtigen Walten der Unsichtbaren. So schmiegte sich die epische Dichtung dem epischen Zeitalter der deutschen Völker an, und sie begleitet
   bis 1 von 1
1 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 1 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer