1910 -
Straßburg
: Bull
- Autor: Dadelsen, Hans von
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1896
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schule
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): Jungen
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legt, ober wie Johannes das „Friebenskinb", den lieben „Leutewart" im
Jorban tauft, und wie dann, von beut Allwaltenben her, der sonst den
Raben als Boten sanbte, sich der heilige Geist herabgesenkt, „einem schönen
Vogel vergleichbar, einer holben Taube", ober wie sie „kaltes Eisen
schlugen, neue Nägel, nietscharf unten, mit harten Hämmern ihm durch
die Hünb' und Füße, bittere Bünber; — boch rächt er die Tat nicht,
bic grimme".
Es ist, als ob in biefer letzten Zeile die alte, auf Naturgesetz und
ererbte Pflicht gegrünbete Anschauung von der Blutrache sich noch einmal
aufbäume, gemischt mit gerechtem Zorn. Sonst aber zeigt der „Helianb"
bei seiner Umsetzung des Evangelienberichtes in die nationale Denkart,
wie tief boch schon das Christentum Wurzel geschlagen hat. Und gerabe
jene Mischung des Heimischen und des Fremben ist sehr bebeutungsvoll,
benn sie beherrscht ja unsere Literatur mehr ober weniger durch alle
Stufen ihres Werbeganges hinburch, am tiefsten natürlich in der Zeit,
wo das Christentum und die römische Welt ihren Einfluß ans die neue,
triebkräftige Kultur des Germanentums ausübten.
51. Das Evangelimbuch Otfrieds.
* Alfr. Biese: Deutsche Literaturgeschichte I (1907), S. 40 ff.
Der Zusammenhang, der im „Helianb" wie auch im „Mnspilli"
und im „Wessobrunner Gebet" noch zwischen den Trägern der neuen
geistlichen Bilbung und beut Volksgesang beutlich sichtbar ist, lockerte sich
schon frühe, und der Unterschieb zeigt sich, wenn man von beut Volks-
prebiger des „Helianb" zu dem Evangelienbuch des gelehrten Mönches
Otfrieb von Weißenburg übergeht, der unter dem Abt Hrabanus Maurus,
dem Schüler Alkuins, auf der berühmten Klosterschnlc Fulba gebilbet,
um 865 sein Werk an Ludwig den Deutschen sanbte. Otfrieb ersetzte
die alliterierenbe Strophe durch den Reim. Und das bebeutet einen folgen-
reichen Schritt in der Entwicklung unserer Literatur. Die Grunbform
bentscher Poesie war bannt gefunben. Freilich gab es schon vor dem
Mönche von Weißenburg alliterierenbe Strophen mit Enbreim, und in
den Kirchen erschallten schon seit dem fünften Jahrhundert lateinische
Hymnen in metrisch scharf gemessenen Strophen, bereu Vierzeilen zumeist
gereimt waren, so daß die Sprache zu Musik warb, ohne daß sie in
Fesseln geschlagen würde, und eine Fülle von Melobien schloß sich an
den Wohlklang der Verse an. Aber einheitlich den Reim auch in die
beutsche Dichtung eingeführt zu haben bleibt das bauernbe Verbienst
Otfriebs.