Anfrage in Hauptansicht öffnen

Dokumente für Auswahl

Sortiert nach: Relevanz zur Anfrage

1. Teil 5 - S. 235

1910 - Straßburg : Bull
235 so danken sie doch ihm, daß das Volk ihren Liedern froh bewegt lauschte. Schien es doch, als wäre die unselige Kluft wieder überbrückt, die heute die Gebildeten und die Ungebildeten unseres Volkes scheidet, als tönte der Gesang, von namenlosen fahrenden Schülern erfunden, unmittelbar aus der Seele des Volkes heraus. Unwillkürlich fragt der Hörer, ob nicht am Schluffe des Sanges ein Vers hinweggefallen sei, das alte treuherzige: Der uns dies neue Liedlein sang, Gar schön hat er gesungen; Er trinkt viel lieber den kühlen Wein Als Wasser aus dem Brunnen. Der Gesang ist heute, wie zur Zeit der italienischen Renaissance die Redekunst, die geselligste der Künste. Das arme Volk liest wenig, am wenigsten Gedichte; fast allein durch den Gesang wird ihm das Tor- geöffnet zu der Schatzkammer deutscher Poesie. An Kunstwert stehen Uhlands erzählende Gedichte seinen Liedern ohne Zweifel gleich; aber die Bedeutung des Mannes für die Gesittung unseres Volkes beruht vornehmlich auf den Liedern. Sie haben dem Sänger den schönsten Nachruhm gebracht, der dem lyrischen Dichter beschieden ist. Sie leben in ihrer leichten, sangbaren Form im Munde von Tausenden, die seinen Namen nie gehört, sie klingen wieder, wo immer Deutsche fröhlich in die Weite ziehen oder zum heiteren Gelage sich scharen. Es war eine Stunde seliger Genugtuung, als er einmal auf der Wanderung in der Haardt in den Klostertrümmern von Limburg unerkannt rastete und seine eigenen Lieder, von jugendlichen Stimmen gesungen, durch das Gewölbe schallten. Alle die hoffnungsvollen Anfänge freier, volkstümlicher Geselligkeit, welche heute das Nahen einer menschlicheren Gesittung verkünden, alle die fröhlichen Fahrten und Feste unserer Sänger und Turner und Schützen danken einen guten Teil ihres poetischen Reizes dem schwäbischen Sänger; kein Wunder, daß er selber sich an solcher Volksfreude nicht satt sehen konnte. Fast dünkt uns ein Märchen, daß es einst eine Zeit gegeben, wo am Beiwachtfeuer deutscher Soldaten das Lied noch nicht erklang: „Ich hatt' einen Kameraden", daß einst deutsche Handwerksburschen über den Rhein gezogen sind, die noch nicht sangen von den „drei Burschen". Doch sehen wir näher zu, so finden wir auch in den einfachsten dieser Lieder einen entscheidenden Zug, eine kunstvolle Steigerung, einen schlagenden Abschluß, der das Gedicht alsbald auf die Höhe der Kunstpoesie erhebt und mit so großer Innigkeit und Frische den durchgebildeten Verstand des Künstlers gepaart zeigt. Demselben Lehrer, dem deutschen Volksliede, hat Uhland auch die Kunst der gemütlich bewegten Erzählung abgesehen. Er vermag es, einen kleinen anekdotenhaften Zug mit so viel schalkhafter
   bis 1 von 1
1 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 1 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer