1910 -
Straßburg
: Bull
- Autor: Dadelsen, Hans von
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1896
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schule
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Horde, deren Votum einst entscheidende Kraft gehabt hatte und eben darum
noch immer ein großes Gewicht besaß. Doch war zugleich dafür gesorgt,
daß dieselbe keine systematische Opposition bilden konnte. Augustus selbst
war wie Cäsar princeps senatus; er gab sein Votum entweder zuerst oder
zuletzt ab. Von ihm stammte in der Regel die Initiative bei den Bera-
tungen. Wenn es vorkam, daß auch von anderer Seite Anträge ein-
gebracht wurden, so fragte man doch erst bei dem Princeps an, ob denselben
Folge gegeben werden sollte. In seinen letzten Jahren ließ Augustas einen
Ausschuß aus Senatoren und höheren Magistraten zusammentreten, deren
Beschlüsse dann soviel gelten sollten als sonst die Beschlüsse des versam-
melten Senats.
Kommen wir nun auf das Volk. Noch immer bestand dessen vor-
nehmste Kompetenz, über die Ernennung zu den höchsten Stellen der
Magistratur zu votieren; noch immer fanden Komitien zu diesem Zwecke
statt. Allein diese Befugnis wurde doch durch das Vorrecht der höchsten
Gewalt, das dabei eintrat, beinahe illusorisch: der Abstimmung ging eine
Prüfung der Qualifikation der Kandidaten voraus. Nur die wurden
zugelassen, welche von dem Princeps gebilligt worden waren. Man be-
warb sich weniger um die Stimine des Volks als um die Nomination
oder auch um die Empfehlung — denn auch eine solche wurde nach dem
Muster Cäsars vorbehalten — des Inhabers der höchsten Gewalt. Wie
konnte es nun dennoch geschehen, daß der neu entstehende Prinzipat dem
Volke angenehm und selbst erwünscht war? Es beruht auf der tribunizischen
Gewalt, nicht sowohl nach ihren Formen, die ohnehin außer Gebrauch
gesetzt wurden, als nach dem Begriffe, von welchen sie ausgegangen war.
Wir sehen das aus der Leichenrede des Antonius. Die tribunizische Ge-
walt, in dem Inhaber derselben unverletzlich, gewährte den Mitgliedern
der Gemeinde den Schutz, dessen sic gegen die Mächtigen bedurften. Darin
liegt das populäre Prinzip des Fürstentums überhaupt; der gemeine Mann
muß einen Rechtsschutz haben, auf den er sich verläßt. Dazu war das
Tribunal in Rom ursprünglich bestimmt; es verknüpft gleichsam die Jahr-
hunderte, daß diese in langem Kampf errungene volkstümliche Stellung
dem Inhaber der höchsten Autorität anheimfiel. Das Recht der Jnterzession
hatte in Bezug aus mißfällige Beschlüsse, die der Senat trotz aller Vor-
kehrungen fassen konnte, eventuell großen Wert.
Die tribunizische Gewalt war das vornehmste Fundament des Prin-
zipats in bürgerlichen Angelegenheiten. Sie ist immer als die vornehmste
Prärogative der höchsten Gewalt angesehen worden. Deren eigenste Basis
aber bildete die militärische Autorität. Alle Legionen leisteten dem Im-
perator den Eid; sie wurden durch Aushebungen ergänzt, die in seinen
Händen lagen; sie bezogen ihre Löhnung aus der Privatkasse des Im-
perators, der zugleich ein Grundeigentum von unermeßlichem Umfang