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1910 -
Straßburg
: Bull
- Autor: Dadelsen, Hans von
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1896
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schule
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): Jungen
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112. „Deutsch".
Lamprecht: Deutsche Geschichte. I, 1891.
Schon das letzte Jahrzehnt Karls des Großen war eine schwere
Zeit; über seinem Grabe begann der Zerfall des Reiches. Er vollzog
sich in persönlicher Verschuldung des Herrschergeschlechts und in wüster
Parteiung weltlicher und kirchlicher Großen; der nationale Gedanke hat
zu ihm keine Beziehung. Wohl zeigte sich eine gewisse gemeinsame Auf-
fassung der politischen Vorgänge in den deutschen Reichstcilen einerseits,
den romanischen andererseits, und Zu- und Abneigungen gegenüber den
leitenden Personen des Staates ließen das unbewußte Wirken nationaler
Auffassung durchblicken. Aber wie wenig wurden die schlummernden
Gegensätze ans Licht gezogen! Noch dauerte die alte Unterscheidung beider
Reichshülftcn nach oft- und westfränkisch fort, und den zahlreichen Reichs-
teilungen unter den karolingischen Epigonen lag niemals der vollständig
und rein erfaßte Gegensatz deutschen und welschen Volkstums zu Grunde,
wie sehr auch die spätere Mark beider Nationalitäten von den wechselnden
Grenzen durchzogen ward.
Gleichwohl wuchs unter dem Gewirr der dynastischen Kämpfe das
deutsche Volksbewußtsein einer weiteren Entwicklung entgegen. Der neue
Prozeß umfaßt im ganzen das neunte bis elfte Jahrhundert; er führt
allmählich zum Bewußtsein der äußeren typischen Verschiedenheit der
Deutschen von anderen Völkern und wird zunächst durch das Anerkenntnis
der besonderen Sprache gekennzeichnet. Schon in der zweiten Hälfte des
8. Jahrhunderts findet sich aus dem bereits westarischen Wortstamm
diot „Volk" und seinen Ableitungen diäten „volksgemäß machen" und
githiuti „Verständlichkeit" das Wort „deutsch" entwickelt im Sinne von
„volksvcrständlich" und in Anwendung auf die Sprache. Im Beginn
des 9. Jahrhunderts wird das Wort ausdrücklich der römischen Vulgär-
sprache, dem aufkommenden Romanisch gegenübergestellt. Einen um-
fassenderen Sinn mußte es am ehesten da annehmen, wo Deutsche mit
Fremden untermischt saßen oder Deutsche wenigstens häufig unter Fremde
gelangten. Das war in Italien der Fall: hier wird t6utiseu8 im Jahre
843 zum erstenmal zur Bezeichnung des deutschen Typus überhaupt, zur
Kenntlichmachung der Volksangchörigkeit verwendet.
Auch der fernere Fortschritt der Bedeutung gehört zunächst Ober-
italien an, dessen Gefilde im 10. und 11. Jahrhundert oft genug und
mehr als einmal auf lange Dauer deutsche Krieger sahen, das selbst seit
dieser Zeit einen Teil des neuen römischen Reiches deutscher Nation
bildete. Hier wird der Begriff auch zuerst politisch gewendet; seit Beginn
unseres Jahrtausends spricht man von einem deutschen Reiche.