1883 -
Dresden
: Bleyl & Kaemmerer
- Autor: Bliedner, A.
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Während man kleine Glocken für Häuser, Bahnhöfe u. s. w. in
Sandmodellen, wie andere Gelbgiesserarbeiten, fertigt, giesst man Turm-
glocken in Lehmformen und geht dabei folgendermassen zu Werke. Der
magere, aber nicht sandige Formlehm wird mit Pferdemist, Flachsscheben
oder Kälberhaaren gemengt. Die Form wird vor dem Giessofen in der
Dammgrube aufgeftihrt; die Grube ist etwas tiefer, als die Glocke hoch
werden soll, weil erstlich das einfliessende Metall etwas Fall haben und
dann auf dem Boden der Grube ein Fundament von Steinen für die
Form gelegt werden muss. Zuerst schlägt der Former einen hölzernen
Pfahl in der Mitte der Grube ein, legt das Fundament um denselben
und mauert auf diesem den Kern aus Ziegelsteinen hohl auf. Der Kern
hat ungefähr die Form und Grösse, dass er den Innenraum der ver-
langten Glocke ziemlich ausfüllt. Durch Aufträgen mehrerer Schichten
feinen Lehms auf den Steinkern wird der Körper noch aufgehöht und
ihm dann mittels einer sogenannten Lehre die richtige Form erteilt.
Die Lehre ist ein Stück Brett, dessen eine Seite nach dem innern Profile
der Glocke ausgeschnitten und scharfkantig gemacht worden ist. Sie ist
an einer im Zentrum über dem Pfahle angebrachten eisernen Spindel
befestigt, und indem sie um den abzugleichenden Kern herumgeführt
wird, nimmt sie von der weichen Hülle desselben so viel weg, dass eben
die gewünschte innere Form der Glocke gebildet wird.
Der soweit fertige Kern wird geäschert, d. h. mit in Wasser oder
Bier angerührter Asche bestrichen, damit der nunmehr folgende Formteil
(die Dicke) nicht an dem Kerne hängen bleibe. Jetzt bringt man in
den Hohlraum des Kernes Feuer, trocknet ihn damit völlig aus und be-
ginnt nun mit dem Aufträgen einer neuen Lehmschicht, welche man
schliesslich durch eine zweite Lehre rundet und in die verlangte Gestalt
bringt. Da diese Lehre nach dem äussern Profil der Glocke geschnitten
ist, so ist einleuchtend, dass diese Schicht, die eben die Dicke oder das
Hemd heisst, das ganze Ebenbild der Glocke, mit Ausnahme der Henkel,
darstellen muss. Auf dieses eigentliche Modell setzt man denn auch
alles, was über die allgemeine Oberfläche der Glocke hinausragt, also
Inschriften, Wappen, Reifen und sonstige Verzierungen. Diese Gegen-
stände sind in Formwachs bossiert und werden an gehöriger Stelle mittels
Terpentin angeklebt, nachdem schon vorher die ganze Aussenseite des
Modells, zur Verhütung des Zusammenbackens mit dem dritten und letzten
Formteil, mit einer Mischung von Wachs und Talg überstrichen worden.
Dieser Teil, der Mantel, entsteht wieder durch Aufträgen mehrerer
Lehmschichten auf das Modell, die erstere aus der feinsten Masse mittels
des Pinsels, die folgenden weniger umständlich. Auch auf die äussere
Oberfläche des Mantels wendet man keine besondere Sorgfalt, da auf sie
nichts ankommt. So ist denn endlich ein Mauer- und Klebwerk ent-
standen, das äusserlich nur die rohe Form der Glocke zeigt und aus
drei Schichten, Kern, Dicke und Mantel, besteht. Der letztere erhält eine
Stärke von 10—15 Centimeter. Jetzt wird noch der Kreuzhenkel (die
Krone) der Glocke als besonderes Modellstück gefertigt und dem Mantel
aufgepasst.