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1. Schiller-Lesebuch - S. 162

1883 - Dresden : Bleyl & Kaemmerer
162 dramatische Dichter Verzicht; er findet aber reichlichen Ersatz dafür in folgender Erfindung. Er verlangt, dass jede seiner mithandelnden Per- sonen durch einen wirklichen Menschen vorgestellt werde; dass dieser an Geschlecht, Alter und Gestalt soviel möglich den Voraussetzungen von seinem erdichteten Wesen gleiche, ja dessen ganze Eigentümlichkeit annehme, dass er jede Rede mit dem angemessenen Ausdruck der Stimme, der Mienen und Gebärden begleite und die äusserlichen Handlungen hinzufüge, welche sonst, um den Zuhörern klar zu werden, der Erzählung bedürfen würden. Noch mehr: diese Stellvertreter der Geschöpfe seiner Einbildungskraft sollen auch in der ihrem angenommenen Stande, Zeit- alter und Landesart entsprechenden Tracht erscheinen, teils, um ihnen noch mehr zu gleichen, teils, weil auch in den Kleidungen etwas Cha- rakteristisches liegt. Endlich will er sie von einem Ort umgeben sehen, welcher dem, wo nach seiner Dichtung die Handlung vorgefallen sein soll, einigermassen ähnlich sei, weil dies ebenfalls zur Anschaulichkeit beiträgt; er stellt sie auf eine Scene. Dies alles führt uns auf den Be- grilf des Theaters. Es ist offenbar, dass in der Form der dramatischen Poesie, d. h. in der Vorstellung einer Handlung durch Gespräche ohne alle Erzählung, die Anforderung des Theaters als ihrer notwendigen Er- gänzung schon liegt. Wir geben zu, dass es dramatische Werke giebt, die von ihren Verfassern ursprünglich nicht für die Bühne bestimmt worden sind; die auch auf ihr keine sonderliche Wirkung machen würden, während sie sich vortrefflich lesen lassen. Ich bezweifle jedoch gar sehr, ob sie auf jemanden, der nie ein Schauspiel gesehen, auch keine Beschreibung davon gehört hätte, einen ebenso lebendigen Eindruck machen würden als auf uns. Wir sind schon darauf geübt, beim Lesen dramatischer Werke uns die Aufführung hinzuzudenken. 119. Die drei dramatischen Einheiten. Von Lessing. A. a. 0., S. 248. Die Einheit der Handlung war das erste dramatische Gesetz der Alten. Die Einheit der Zeit und die Einheit des Ortes waren gleichsam nur Folgen aus jener, die sie schwerlich strenger beobachtet haben würden, als es jene notwendig erfordert hätte, wenn nicht die Verbin- dung des Chors dazugekommen wäre. Da nämlich ihre Handlungen eine Menge Volks zum Zeugen haben mussten, und diese Menge immer die nämliche blieb, welche sich weder weiter von ihren Wohnungen ent- fernen, noch länger aus denselben wegbleiben konnte, als man gewöhn- lichermassen der blossen Neugierde wegen zu thun pflegt: so konnten sie fast nicht anders, als den Ort auf einen und ebendenselben individuellen Platz, und die Zeit auf einen und denselben Tag einschränken. Dieser Einschränkung unterwarfen sie sich denn auch bona fide, aber mit einer Biegsamkeit, mit einem Verstände, dass sie unter neun Malen siebenmal weit mehr dabei gewannen als verloren. Denn sie Hessen sich diesen
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