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1. Schiller-Lesebuch - S. 192

1883 - Dresden : Bleyl & Kaemmerer
192 131. Über die romantische Poesie. Von Vil mar. Gesch. der deutschen Nationallitteratur. 14. Aufl. Marburg u. Leipzig 1871 S. 546. Die Zeit der höchsten Blüte Goethes und Schillers rief in ihren Umgehungen, in Weimar und Jena, ein so belebtes, aufgeregtes und wahrhaft geniales Zusammensein der verschiedensten Geister hervor, wie nach Schillers eigner Bemerkung ein solches vielleicht in Jahrhunderten nicht wiederkehrt: die Poesie drang mit Macht in die Wissenschaft, in die bildende Kunst, in das Leben. Von der Vermischung der Poesie mit dem Leben, welche damals in Weimar und besonders in Jena statt- fand, wird uns allerdings nichts Rühmliches berichtet — noch weniger Rühmliches, als der Minnesänger Ulrich von Lichtenstein unter fast gleichen Umständen von sich selbst erzählt; es war aber doch der Ge- danke lebendig geworden, es müsse die Poesie wieder aus den Büchern, aus der Papierwelt hinaus in die wirkliche Welt strömen, sich in den Verkehr des Lebens mischen, die Gesellschaft durchdringen und sie von allem Niedrigen, Gemeinen, Philisterhaften säubern — es musste dieser Gedanke da lebendig werden, wo das Leben schon wirklich zur Poesie geworden war, wo der seltenste Verein einer grossen Zahl geistig bedeutender, wissenschaftlich hochstehender, dichterisch begabter Männer in ihren frischen Jugendjahren auf einem verhältnismässig so engen Raume zusammengedrängt war, in Jena, wo zu gleicher Zeit Reinhold und Fichte, Schelling und Hegel, Woltmann, Thibaut und Hufeland, Voss, die beiden Humboldt und die beiden Schlegel, Steffens und Brentano — und wer nennt und zählt die Namen alle — lehrend und lernend, an- regend und strebend, sich zusammengefunden hatten. Und dieser Ge- danke, die Einheit der Poesie mit dem Leben zu begreifen, zu verkün- digen, herzustellen — dieser Gedanke ist in der That einer der allge- meinsten Grundgedanken der neuen Schule, die bald, und zumeist von ihren Gegnern, die romantische Schule genannt wurde, ein Gedanke, welcher mit der zu gleicher Zeit emporblühenden Naturphilosophie auf das genauste verwandt war. Der Dichter wurde gleichsam zur höchsten Potenz, gleichsam zum Ideal der Zeit gemacht — alle die mannigfaltigen Erscheinungen des Lebens, der Kunst, der Wissenschaft sollte er in sich aufnehmen, in sich sammeln und in der reinsten Gestalt aus dem eignen Ich widerstrahlen lassen — ein Satz, gegen den schwerlich viel einzu- wenden sein wird, und der nur an Herder, Goethe und Schiller, vor allen an Goethe, gelernt werden konnte. Aus diesem Gedanken der Einheit der Poesie und des Lebens erklärt sich am ungezwungensten und ein- fachsten, erklärt sich fast notwendig, wie diese neue Schule so eines Sinnes Mem Mittelalter ihre Liebe zuwandte: mit Recht pries sie die Zeit des Volksepos und der Minnesänger des 13. Jahrhunderts als eine solche, in welcher ihr Ideal, wenn nicht ganz und gar, wenigstens in bei weitem höherem Grade verwirklicht war als in der Zeit, in welcher sie lebte, und in welcher wir leben; hier eine dem toten Papiere angehörende,
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