Anfrage in Hauptansicht öffnen

Dokumente für Auswahl

Sortiert nach: Relevanz zur Anfrage

1. Deutsche Prosa - S. 103

1900 - Gera : Hofmann
Goethe in Italien. 103 gab es kaum Kupferstiche. Nun stand er da, wo die Dinge selbst sich boten, in einer Fülle, die zuerst auch nur im ganzen zu überschlagen fast unmöglich schien. Vier Monate dauerte Goethes erster römischer Aufenthalt. Schon zu Ende des Jahres hatte er die Absicht, nach Weimar zurückzukehren. Er fühlte sich, schreibt er, von einer ungeheueren Leidenschaft und Krankheit geheilt, wieder zum Lebensgenuß, zum Genuß der Geschichte, der Dichtkunst und Altertümer genesen. Es genügte ihm, soviel ge- wonnen zu haben; seine Bescheidenheit dem Herzoge und dem Lande gegenüber, von dem er einen hohen Lohn bezog, erinnerten an die Rück- kehr. In den Weimaraner Zirkeln beurteilte man seine Abwesenheit in mißgünstiger Weise. Goethe verzehre das viele Geld in angenehmem Nichtsthun, sagte man, während zu Hause schlechterbezahlte Beamte seine Geschäfte noch obendrein besorgen müßten. Goethen blieb das gewiß kein Geheimnis, aber der Herzog selbst beruhigte ihn, gewährte ihm neuen, unbestimmten Urlaub und forderte ihn freundlich auf, den ausgedehntesten Gebrauch davon zu machen. So entschloß sich Goethe denn, nach Süden weiter vorzudringen. Anfang Februar 1787 geht er nach Neapel. Gegen das, was er hier fand, mußte für den Augenblick jeder frühere Eindruck weichen. Rom mit seiner Bewegung war doch die Stille selbst im Vergleich zu dem Treiben von Neapel. Was aber kommt auf gegen diese Natur? „Hier ist mehr als alles," schreibt Goethe. „Ich bin nach meiner Art ganz stille und mache nur, wenn es gar zu toll wird, große, große Augen." In einer unaufhörlichen Berauschung erschien ihm die Welt da zu leben und er selbst ward mit hineingezogen in den Taumel. Wer dachte damals an Politik in Neapel? Sorglos strömte das Leben der Leute so hin, sorglos selbst heute noch, denn diese Menschen scheinen auch nicht durch die kleinste Last bedrückender Gedanken beschwert zu sein. Man kommt nicht zur Ruhe. Musik, Gesang, Schießen, Schreien und nachts Feuerwerk bilden ein ewiges Getöse. Niemals ist es stille dort bei Tag und Nacht, nur die heißesten Mittagsstunden ausge- nommen. Die geringfügigste Verhandlung wird mit Leidenschaft ge- führt. Pracht, die aber kein Reichtum zu sein braucht, Armut, die aber niemand Elend nennen kann, Schmutz und Gold: alles dicht nebeneinander, und für den, der unsere Begriffe bürgerlicher Moral anlegen wollte, ein Zustand babylonischer Begriffsverwirrung. Lügen und die Wahrheit sagen, stehlen und ehrlich sein, Treue und Betrug sind für die Neapolitaner im allgemeinen Dinge, zwischen denen nur der Unterschied waltet, daß dem einen das eine, dem andern das andere im Alómente gerade das bequemere ist: — an sich scheint den Leuten eins genau denselben Wert zu haben wie das andere. Zugleich
   bis 1 von 1
1 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 1 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer