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1. Deutsche Prosa - S. 124

1900 - Gera : Hofmann
124 Erich Schmidt. über die braunen Locken zurückgeschoben, helläugig in die Welt schaut, der lebensprühende Dichter der „Minna von Barnhelm". Und auf dem Monumente des großen Königs, im Schwarm der Krieger und Staatsmänner, halten Lessing und Kant Zwiesprach, die tiefsten Denker der deutschen Aufklärung. Nun steht er hier im Freien, der Befreier. Diese Herbsttage, da die Sonne, durch graue Nebel dringend, leuchtet, ohne zu stechen und mit sommerlicher Schwüle zu ermatten, da der frische Wind das dürre Laub von den Ästen fegt, grüßen den tapfern Mann, der so viel Klarheit ausspreitete und dessen starker Atem alles Vergilbte und Welke vor sich wegblies. Mehr als zehn Jahre feines Lebens hat Berlin umfangen. Viermal schlug Lessing, dem ein feuriges Naturell gemächliche Seß- haftigkeit verwehrte, in diesen Mauern seinen Sitz auf. Die Häuser, die er bewohnte, haben stattlicheren Neubauten Platz gemacht oder ihr bescheidenes Aussehen völlig verändert, doch allen Wandel der Zeit überdauert das verpflichtende Erbe seines Geistes, der in fortschrittlicher Bewegung webt und wirkt. Hierher kam er ein Werdender, von Wissensdurst und Ehrgeiz ge- schwellt, um in dein aufsteigenden Zukunftsstaat, in der verheißungs- vollen Stadt Friedrichs, wo von den Höhen herab eine neue Gedanken- freiheit die zaghafte Litteratur dnrchdrang und allmählich immer weitere Kreise erfaßte, seine Kritik und Dichtung zu entfalten. Hier ward er mündig und legte den Grund zu einer unerhörten Macht, die er niemals mißbrauchte. „Es ist hier ein neuer Kritikus aufge- standen", melden prophetische Rufe in die Ferne, als der junge Litterat sich die Journalistensporen verdiente. „Er hat alle Qualitäten zu einem Champion", meinen die schlauen Werber, die gar zu gern diesen selbständigen Rufer im Streit für ihre Partei geködert hätten. Er aber erhob die Tageskritik, ohne zerschlissenen Fraktionsfahnen zuzuschwören und ohne dann feine siegreichen „Berliner" als eine ständige Truppe zu tummeln, zum freien Gesundheitsamt. Von den Vossischen Zeitungs- blättern an, deren Spitze die Fänge des jungen preußischen Aars und die weckende Drommete zierten, bis hinauf zu den Berliner Litteratur- briefen mit dem Homeroskopf, die so schlagfertig und schonungslos wie Friedrichs Reiterscharen ihre Husarenhiebe austeilten, hat er freie Bahn gebrochen für die schöpferischen Geister. Vor dieser Kritik zerstob der Troß der Sudler und Nachahmer. Das Publikum, zu dem wohl- meinende Satiriker und Fabulisten -mit sanftem Mentorlächeln herab- stiegen, riß er empor. Hier gewann, unter französischem Antrieb, sein Stil neue Schwingen, von denen der breite Schlendrian bisheriger Wasserprosa nichts ahnte.
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