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1. Deutsche Prosa - S. 131

1900 - Gera : Hofmann
Shakspere, der Dichter und der Mensch. 131 griffene. Die verschiedenen Werke zeigen nns den Einen Dichter von verschiedenen Seiten, auf verschiedenen Stufen geistiger und moralischer Reife, von verschiedenen Ideen erfüllt, verschiedenen Stimmungen unter- worfen. — Nimmt man nun zu dem Bild des Dichters, das uns seine Werke enthüllen, hinzu, was man von feinen äußeren Lebensumständen weiß, von den Bedingungen, den Einflüssen, unter denen er aufwuchs und sich entwickelte — so wird die Aufgabe wiederum komplizierter, aber auch um so lohnender: es handelt sich jetzt darum, die Einheit des Lebens und der Werke zu finden. Die Lösung, soweit sie erreicht wird, bildet die Anschauung (denn in Begriffe läßt sich derartiges nicht fassen) von einem bestimmten geistigen Individuum in seiner Entwicklung. Diese Aufgabe nun ist, auf Shakspere angewendet, mit ganz außerordentlichen Schwierigkeiten verknüpft, vornehmlich aus zwei Gründen: einmal wegen der Größe seines Genius, und dann, weil wir von seinem Leben so wenig wissen, und was wir davon wissen, nicht von der Art ist, daß es zu der ungeheuern geistigen Bedeutung des Mannes irgend ein Verhältnis zu haben scheint. Einer roheren sinn- lichen Auffassung, die sich das geistig Große nur in Gestalt eines Ge- waltigen der Erde zu denken vermag, wird dieser Umstand besonders hinderlich. — Shaksperes äußeres Leben hat nichts von dem Glanz und dem Ansehen, mit dem man den Urheber dieser Werke gerne um- kleidet sehen möchte; und dabei vergißt man, daß diese Werke selber an unzähligen Stellen uns die Lehre predigen (man denke nur an die Kästchen-Wahl im Kaufmann von Venedig), daß gerade die unschein- barste Hülle oft den köstlichsten Inhalt in sich schließt; dabei übersieht man, daß der Eindruck, den jeder feinere Beobachter von diesen Dich- tungen davonträgt, vor allem der ist, daß sie viel mehr leisten als sie versprechen, und daß man sich ihren Verfasser auch nur als einen Mann denken kann, in dessen äußerer Erscheinung, Haltung, Lebens- stellung, seine innere Bedeutung nur sehr unvollkommen zum Ausdruck gelangte. Auf dieser Sachlage aber: auf der Schwierigkeit, die Einheit von Shaksperes Leben und Werken zu finden, beruht es wesentlich, wenn die Bacon-Theorie — ich sage nicht: überhaupt entstanden ist, sondern solche Verbreitung hat finden können. Und an diesem Punkt soll unsere Betrachtung einsetzen. Wir wollen versuche::, einen Weg zu finden, der uns dahin führt, jene Einheit wenigstens als eine denkbare, eine mögliche zu fassen. Den Schleier zu lösen, der das Geheimnis des Genius ver- hüllt, dürfen wir ninimer zu hoffen wagen. Das Wunder, welches in der Erscheinung William Shaksperes gegeben ist, wird sich niemals aufhellen lassen. Aber "bleibt nicht in allen ähnlichen Fällen nach allem, was zur Erklärung geschehen sein mag, das eigentliche Wunder
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