1900 -
Gera
: Hofmann
- Autor: Henschke, Margarete
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Bernhard ten Brink.
bewahrt. Er lebte in einem Städtchen, wo ländliche Arbeit sich mit
Bürgererwerb paarte. Sein Vater war Ökonom und Kaufmann.
Mannigfache Formen menschlicher Thätigkeit traten ihm schon in früher
Jugend näher. Er gewöhnte sich daran, jede zu beobachten, bei jeder
nach ihrem Zweck, nach ihren Werkzeugen, ihrer Methode zu fragen.
Und diese Gewohnheit behielt er im späteren Leben bei. Daher kommt
es, wenn er für jedes Ding aus jedem Gebiet den technischen Namen
kennt, wenn er auch bei komplizierteren Verrichtungen irgend eines
Handwerks jeden Vorgang genau darzustellen weiß. Daher die Über-
lieferungen oder Hypothesen, wonach Shakspere bald ein Metzger, bald
ein Wollhändler, dann wieder ein Schriftsetzer, oder auch ein Arzt oder
auch Soldat gewesen sein soll.
Die in solcher Weise geübte Beobachtnngs- und Kombinations-
gabe wandte Shakspere ohne Frage frühzeitig auf sein eigent-
lichstes Gebiet, auf das Studium des Menschen an. Die kleine
Welt, die ihn umgab, und die Welt in seiner eigenen Brust boten
ihm für dieses Studium ein vollkommen ausreichendes Material, und
wie seine Bedürfnisse wuchsen, dehnte sich auch der Kreis seiner Er-
fahrungen aus.
Bekannt ist der Goethe'sche Spruch: „Einen Blick ins Buch hinein
und zwei ins Leben, das muß die rechte Form dem Geiste geben."
Wenn irgend ein hervorragender Dichter oder Denker aus neuerer Zeit,
so ist Shakspere nach diesem Rezept gebildet. Wir haben anzudeuten
versucht, wie er in Stratford jene Blicke ins Leben gethan haben mag.
Was es mit dem Blick ins Buch bei ihm für eine Bewandtnis hatte,
werden wir im Laufe unserer Betrachtungen zu erfahren Gelegenheit
finden.
Das geistige Besitztum eines Volkes, eines Zeitalters beschränkt
sich aber nicht auf das, was in seiner Litteratur niedergelegt ist. Es
giebt und gab besonders dazumal noch einen Schatz von Überlieferungen,
die in Volksgebrüuchen und Sitten, in Lied und Sage sich fortpflanzten
und bei einheitlichem Grundcharakter in den verschiedenen Landschaften
vielfach eine verschiedene Färbung trugen. Auch diese gehören wesent-
lich und zwar in hervorragender Weise zu der geistigen Atmosphäre,
die den Menschen umgiebt.
Im sechzehnten Jahrhundert verdiente England noch in vollem
Maße den Namen des merry England. Puritanische Sittenstrenge
hatte die lustigen, bunten Volksfeste noch nicht verpönt, die heitern
Volksgesänge noch nicht verstummen lassen. Alte Sitten und Gebräuche
wurden besonders auf dem Lande überall heilig gehalten: zu regel-
mäßig wiederkehrenden Zeiten des Jahres wurden Umzüge, Spiele,
Tänze veranstaltet, die oft in graue Vorzeit hinaufgingen, manchmal