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1. Deutsche Prosa - S. 138

1900 - Gera : Hofmann
138 Bernhard ten Brink. Aber auch an historischen Erinnerungen fehlte es Warwickshire nicht. Mächtige Denkmäler aus der Römerzeit, die man im 16. Jahr- hundert für Werke der Briten ansah, Städte und Örter, an die sich der Name berühmter Geschlechter, die Kunde von großen Begebenheiten, gewaltigen Schlachten knüpfte, waren hier in Fülle vorhanden. Be- sonders die traurige Zeit, wo die Häuser Lancaster und Jork in blutiger Fehde die englische Aristokratie dezimierten und das Land verwüsteten, die Zeit der Rosenkriege, stand den Bewohnern jener Grafschaft noch in lebendigster Erinnerung. Der große Held der Rosenkriege war der fünfte Graf von Warwick, Richard Beauchamp, und ein anderer Graf von Warwick, Richard Neville, ist als der Königsmacher auch uns aus Historie und Dichtung wohlbekannt. War es ein Wunder, wenn jene Periode der englischen Geschichte, von der seine Heimat ihm vor allen anderen erzählte, zugleich diejenige, welche Eduard Hall in seiner Chronik behandelt hatte, Shakspere gleich im Beginn seiner dramatischen Laufbahn zur Darstellung und künstlerischen Bewältigung reizte? Es ist nicht gleichgültig, wo ein Mensch, zumal ein Genie, geboren wird, ob er einem schon verbrauchten oder einem lebensfrischen Volks- stamm entsprießt, welche Luft er in seiner Kindheit atmet, welche Lieder ihm an der Wiege gesungen wurden. Und so mag es kein Zufall sein, daß Shakspere in Warwick geboren wurde; es mag ein Zusammenhang zwischen seiner Herkunft und der eigentümlichen Richtung seines Genius vorhanden sein. Shak- spere ist seit der altenglischen Periode der erste unter den großen eng- lischen Dichtern, in dem das germanische Element sich mit übermächtiger Gewalt wieder geltend macht und alles, was an ausländischen Bildungs- elementen vom Nationalgeist aufgenommen war, in seinen Dienst zwingt. Bei ihm erklingt zum erstenmal wieder dieser erschütternde Ton tiefster Empfindung, findet sich diese einfach kühne Art des dichterischen Aus- drucks, welche ohne Vorbereitung und ohne Vermittelung — scheinbar ohne jeden Aufwand künstlerischer Mittel — uns plötzlich mitten in die Sache hinein versetzt, mit einem Wort: das Stimmungsvolle, das ein Hauptmerkmal germanischer Poesie ist. — Shaksperes Knabenjahre scheinen sehr glückliche gewesen zu sein. Wie auf ein verlorenes Paradies blickt der Dichter im späteren Leben auf jene Tage der Unschuld, jugendlicher Freuden und jugendlicher Freundschaft zurück, die Zeit, wo er nicht weiter vorwärts dachte, als: „folch ein Tag wie heut' sei morgen auch, und daß er ewig Knabe bleiben werde," wo er mit feinen Spielgenossen „Unschuld für Unschuld tauschte" und sich nicht träumen ließ, „man thäte Böses" in der Welt. — Die schöne Zeit währte nur kurz.
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