1900 -
Gera
: Hofmann
- Autor: Henschke, Margarete
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Bernhard ten Brink.
Aber auch an historischen Erinnerungen fehlte es Warwickshire
nicht. Mächtige Denkmäler aus der Römerzeit, die man im 16. Jahr-
hundert für Werke der Briten ansah, Städte und Örter, an die sich
der Name berühmter Geschlechter, die Kunde von großen Begebenheiten,
gewaltigen Schlachten knüpfte, waren hier in Fülle vorhanden. Be-
sonders die traurige Zeit, wo die Häuser Lancaster und Jork in blutiger
Fehde die englische Aristokratie dezimierten und das Land verwüsteten,
die Zeit der Rosenkriege, stand den Bewohnern jener Grafschaft noch
in lebendigster Erinnerung. Der große Held der Rosenkriege war der
fünfte Graf von Warwick, Richard Beauchamp, und ein anderer Graf
von Warwick, Richard Neville, ist als der Königsmacher auch uns aus
Historie und Dichtung wohlbekannt.
War es ein Wunder, wenn jene Periode der englischen Geschichte,
von der seine Heimat ihm vor allen anderen erzählte, zugleich diejenige,
welche Eduard Hall in seiner Chronik behandelt hatte, Shakspere
gleich im Beginn seiner dramatischen Laufbahn zur Darstellung und
künstlerischen Bewältigung reizte?
Es ist nicht gleichgültig, wo ein Mensch, zumal ein Genie, geboren
wird, ob er einem schon verbrauchten oder einem lebensfrischen Volks-
stamm entsprießt, welche Luft er in seiner Kindheit atmet, welche Lieder
ihm an der Wiege gesungen wurden.
Und so mag es kein Zufall sein, daß Shakspere in Warwick
geboren wurde; es mag ein Zusammenhang zwischen seiner Herkunft
und der eigentümlichen Richtung seines Genius vorhanden sein. Shak-
spere ist seit der altenglischen Periode der erste unter den großen eng-
lischen Dichtern, in dem das germanische Element sich mit übermächtiger
Gewalt wieder geltend macht und alles, was an ausländischen Bildungs-
elementen vom Nationalgeist aufgenommen war, in seinen Dienst zwingt.
Bei ihm erklingt zum erstenmal wieder dieser erschütternde Ton tiefster
Empfindung, findet sich diese einfach kühne Art des dichterischen Aus-
drucks, welche ohne Vorbereitung und ohne Vermittelung — scheinbar
ohne jeden Aufwand künstlerischer Mittel — uns plötzlich mitten in
die Sache hinein versetzt, mit einem Wort: das Stimmungsvolle, das
ein Hauptmerkmal germanischer Poesie ist. —
Shaksperes Knabenjahre scheinen sehr glückliche gewesen zu sein.
Wie auf ein verlorenes Paradies blickt der Dichter im späteren Leben
auf jene Tage der Unschuld, jugendlicher Freuden und jugendlicher
Freundschaft zurück, die Zeit, wo er nicht weiter vorwärts dachte, als:
„folch ein Tag wie heut' sei morgen auch, und daß er ewig Knabe
bleiben werde," wo er mit feinen Spielgenossen „Unschuld für Unschuld
tauschte" und sich nicht träumen ließ, „man thäte Böses" in der Welt.
— Die schöne Zeit währte nur kurz.