1900 -
Gera
: Hofmann
- Autor: Henschke, Margarete
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Shakspere, der Dichter und der Mensch.
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Um die Zeit, wo Shakspere — ein vierzehnjähriger Knabe —
die Schule verlassen haben mag, begann der Horizont seines Lebens
sich mählich zu verfinstern. Es war zuerst der Wohlstand seiner Familie,
der ins Schwanken geriet, um dann zu sinken, tiefer und immer tiefer
zu sinken. Wir können die traurige Entwicklung der Dinge, welche die
Familie Shakspere in Armut stürzte und um ihr Ansehen brachte,
ihr Haupt John Shakspere seiner Aldermanswürde verlustig gehen
ließ und endlich seiner persönlichen Freiheit beraubte, in Stratforder
Urkunden deutlich genug verfolgen, vom Jahre 1578 bis zum Jahre
1587, wo die Entwicklung ihren Höhepunkt, jedoch noch immer nicht
ihren Abschluß erreicht.
In eben diese Zeit fällt jene Krisis in Shaksperes Leben, welche
den Übergang aus den Knaben- in die Jünglingsjahre bezeichnet: das
Erwachen jugendlicher Sehnsucht und Leidenschaft; die erste Jugendliebe
mit ihren Träumereien, ihrer Schwärmerei — diesmal leider auch
mit ihren Verirrungen, ihren für das ganze Leben bestimmenden
Folgen.
Im November 1582 ist William Shakspere im Begriff, sich zu
verheiraten — er, der Achtzehnjährige, mit einem um acht Jahre älteren
Mädchen — im Begriff, sich zu verheiraten, wie es scheint, ohne Ein-
willigung seiner Eltern; bemüht, beim Bischof von Worcester die Er-
laubnis zu seiner Vermählung mit Anna Hathaway zu erwirken. Bald
daraus muß die Trauung stattgefunden haben.
Und nun denke man sich den jugendlichen Familienvater in den
nächsten Jahren seiner Ehe — wie er sich allmählich klar wird über
das Mißverhältnis, welches schon die Verschiedenheit im Alter zwischen
ihm und seiner Gattin aufrichtete; wie er sich klar wird über mannig-
fache Aussichten, die Welt und Leben ihm geboten Hütten, und über die
Fesseln, die ihm den Kampf um das Dasein erschweren und die er sich
selber angelegt — wie die Schwierigkeit, den Bedürfnissen seiner kleinen
Familie gerecht zu werden, sich von Tag zu Tag steigert, und die
wachsende Zerrüttung der Vermögensverhältnisse seines Vaters seine
Lage allmählich zu einer unhaltbaren macht. Da mag wohl der junge
Ehemann von Reue, Beschämung, Verzweiflung und in der Verzweiflung
von einer Art Galgenhumor ergriffen worden sein, er mochte den
Versuch machen, ans Augenblicke die drückenden Sorgen von sich abzu-
schütteln, und sich in Gesellschaft übermütiger Burschen auf tolle Streiche
eingelassen haben. Jene Tradition, wonach Shakspere in Stratford
mit lustigen Gesellen ein lockeres Leben geführt und allerlei Unfug,
insbesondere auch Wilddiebstahl verübt haben soll, so übertrieben oder
ungenau sie in manchen Einzelheiten auch ist, mag einen Kern von
Wahrheit enthalten. Worauf es uns wesentlich ankommt, ist dies: