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1. Deutsche Prosa - S. 141

1900 - Gera : Hofmann
Shakspere, der Dichter und der Mensch. 141 -seinem feinen Beobachtungssinn, seiner bereits reichen inneren Erfahrung, seinem Lerneifer, seiner Aufnahme- und Begeifterungsfähigkeit — und vor allem mit jener unverwüstlichen Kraft, jener Gewandtheit und Aus- dauer, die ihn im Kampf des Lebens, auch wo er strauchelte, niemals zu Falle kommen ließ. Damals ist Shakspere der Sinn für Geschichte und Politik erst recht aufgegangen; damals hat er die Lücke seiner litterarischen Bildung ausgefüllt und nicht nur die Schriftsteller seiner eigenen Nation, sondern auch manche große Geister der alten Welt und des Auslandes — zumal Italiens — wenn auch zum großen Teil nur aus zweiter Hand, in Übersetzungen und Nachbildungen kennen gelernt. Damals ist Shakspere sich klar geworden über seinen eigentlichen Beruf und ist demjenigen Institut zugeführt worden, dessen Zukunft mit der seinigen unzertrennlich verbunden war. Ohne Zweifel hat Shakspere, wie die Tradition uns lehrt, beim Theater von der Pike auf gedient und sich erst allmählich zu einer höheren Stellung als Schauspieler und als Schauspieldichter emporgeschwungen. Bereits im Jahre 1592 gilt er für das Faktotum der Gesellschaft, der er angehörte. Unter den zahlreichen Thorheiten, welche die Baconianer sich zu Schulden kommen lassen, ist die größte wohl die, daß sie die Größe und Tiefe seiner Dichtungen mit seiner Stellung als Schauspieler und Schauspielunternehmer nicht vereinbar finden. Als ob der größte Dramatiker aller Zeiten ohne die genaueste Kenntnis der Bühne, wie sie nur durch vieljährige Praxis erworben wird, auch nur zu denken wäre. Und wie zeigt sich Shakspere mit der Bühne verwachsen! — wie liebt er es, das Leben unter dem Bild des Schauspiels und umge- kehrt wieder das Schauspiel unter dem Bild des Lebens anzuschauen! Wie genau kennt er die Leistungsfähigkeit des Schauspielers und die Bedürfnisse des Zuschauers! — Warum giebt es bei Shakspere keine undankbaren Rollen? Warum wirken auch die üppige Fülle der Diktion und die verschlungenen Gänge von tiefer Reflexion bei ihm dramatisch? — Weil er die Bühne kennt, weil er, indem er seine Scenen schreibt, nicht nur seine Gestalten lebendig vor sich sieht, den Ton ihrer Stimme hört, ihr Mienenspiel und ihre Gesten sieht, sondern weil manchmal sogar diese Gestalten vor seinem geistigen Auge die vertrauten Züge bestimmter Schauspieler au sich tragen. Das, was Shaksperes Werken ihr einzigartiges Gepräge auf- drückt, jene Verbindung von tiefstem, unvergänglichem Gehalt und höchster momentaner Wirksamkeit, erklärt sich eben nur daraus, daß der Dichter der Bühne ganz und gar angehörte, in seiner Thätigkeit für das Theater seinen Lebensberuf antrat und doch wieder mit seinem Denken und Sinnen weit über den begrenzten Horizont der leichten
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