1900 -
Gera
: Hofmann
- Autor: Henschke, Margarete
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Hermann von Helmholtz.
sinnigen Lehrers, des Physiologen Johannes Müller, desselben,
der in gleicher Zeit auch du Bois-Reymond, Brücke, Ludwig
und Virchow der Physiologie und Anatomie zugeführt hat. Johannes
Müller kämpfte noch in den Rätselfragen über die Natur des Lebens
zwischen der alten wesentlich metaphysischen, und der neu sich ent-
wickelnden naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise; aber die Über-
zeugung, daß die Kenntnis der Thatsachen durch nichts anderes zu
ersetzen sei, trat bei ihm mit steigender Festigkeit auf; und daß er
selbst noch rang, machte seinen Einfluß auf seine Schüler vielleicht um
so größer.
Junge Leute greifen am liebsten gleich von vornherein die tiefsien
Probleme an, so ich die Frage nach dem rätselhaften Wesen der Lebens-
kraft. Die Mehrzahl der Physiologen hatte damals den Ausweg G.
E. Stahls ergriffen, daß es zwar die physikalischen und chemischen
Kräfte der Organe und Stoffe des lebenden Körpers seien, die in ihm
wirkten, daß aber eine in ihm wohnende Lebensseele oder Lebenskraft
die Wirksamkeit dieser Kräfte zu binden und zu lösen imstande sei, daß
das freie Walten dieser Kräfte nach dem Tode die Fäulnis Hervorrufe,
daß dagegen während des Lebens ihre Aktion fortwährend durch die
Lebensseele reguliert werde. In dieser Erklärung ahnte ich etwas
Widernatürliches; aber es hat mir viel Mühe gemacht, meine Ahnung
in eine präcise Frage umzugestalten. Endlich, in meinem letzten Studien-
jahr, fand ich, daß Stahls Theorie jedem lebenden Körper die Natur
eines perpetuum mobile beilegte. Mit den Streitigkeiten über daz
letztere war ich ziemlich bekannt. Ich hatte sie in meiner Schulzeit
von meinem Vater und unserem Mathematiker oft besprechen hören.
Dann hatte ich als Eleve des Friedrich Wilhelm-Instituts in der
Bibliothek desselben Assistenz geleistet und in unbeschäftigten Minuten
die Werke von Daniel Bernouilli, d'alembert und anderen
Mathematikern des vorigen Jahrhunderts mir herausgesucht und durch-
mustert. So stieß ich auf die Frage: „Welche Beziehungen müssen
zwischen den verschiedenen Naturkräften bestehen, wenn allgemein kein
perpetuum mobile möglich sein soll?" und die weitere: „Bestehen nun
thatsächlich alle diese Beziehungen?" Meiner Absicht nach wollte ich
in meinem Büchlein über die Erhaltung der Kraft nur eine kritische
Untersuchung und Ordnung der Thatsachen im Interesse der Physio-
logen geben.
Ich wäre vollkommen darauf gefaßt gewesen, wenn mir die Sach-
verständigen schließlich gesagt hätten: „Das ist uns ja alles wohlbe-
kannt. Was denkt sich der junge Mediziner, daß er meint, uns dies
so ausführlich auseinandersetzen zu müssen?" Zu meinem Erstaunen
nahmen aber die physikalischen Autoritäten, mit denen ich in Berührung