1900 -
Gera
: Hofmann
- Autor: Henschke, Margarete
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Botanische Probleme.
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und strecken; bilden sich neue Organe, so vermehren sich die Zellen
durch Teilung in einer gewissen Region; erkrankt die Pflanze, so sind
es wieder die Zellen, in denen das Leben erlischt. Wenn in den letzten
Jahrzehnten die Experimentalphysiologie der Pflanzen ihre Methoden
vervollkommnet und die Beziehungen des Pflanzenlebens zum Licht,
zur Wärme, zur Schwerkraft, zur Elektrizität und zu den chemischen
Anziehungskräften weit klarer entwickelt hat, als das vor hundert Jahren
möglich war, so hat sie doch nie die Aufgabe aus dem Gesicht verloren,
die Erscheinungen des Pflanzenlebens aus dem Leben der Zellen ab-
zuleiten.
Nun hat uns aber im Jahre 1838 Theodor Schwann gelehrt,
daß auch der Entwickelungskreis jeglichen Tieres und sogar des Menschen
mit einer einfachen Zelle beginnt, daß alle Organe des Tieres aus
Zellen zusammengesetzt und aus der Teilung jener ersten Zelle hervor-
gegangen sind. Aber die Tierzelle ist das nämliche Gebilde wie die
Pflanzenzelle; es giebt nur Eine Zelle und Ein Leben. Wie aber der
Mathematiker den Wert einer unbekannten Größe nur in einer ein-
fachen Gleichung bestimmen kann, so erkennt auch der Naturforscher die
unbekannten Gesetze des Lebens am leichtesten in ihrer einfachsten Er-
scheinung, in der Pflanzenzelle. Und wenn unter Virchows genialem
Vorgang die Lehre vom kranken Menschen, die Pathologie, auf die
Lehre von der kranken Zelle gebaut worden ist, so hat die Erforschung
der Pflanzenzelle das wissenschaftliche Fundament dazu gegeben.
Eine ganz besondere Bedeutung hat in neuester Zeit die Lebens-
geschichte der Pilze gewonnen, indem sie in Beziehung tritt zu einer
Reihe hochwichtiger Probleme, deren endgültiger Lösung die Menschheit
mit Spannung entgegensieht, da sie an ihnen mit ihrer ganzen Existenz
beteiligt ist. Seit undenklichen Zeiten decimieren Brand und Meltau
die Ernten; in den letzten fünfzig Jahren sind in rascher Aufeinander-
folge fast alle angebauten Gewächse von Krankheiten heimgesucht worden,
welche erst unbeachtet im Verborgenen umherschlichen, dann wie mit
einem Male über weite Landstriche sich ausbreiteten und Mißwachs,
Teuerung, Hungersnot über die Völker brachten. Ganz besonders hatte
sich seit 1845 die Krankheit der Kartoffeln, seit 1848 der echte, seit
1878 der falsche Meltau den Rebenpflanzungen des Südens furchtbar
gemacht; auch die Zuckerpflanzungen und Kaffeeplantagen der Tropen
sind durch Krankheiten verwüstet worden; ja sogar die Insekten, von
den Stubenfliegen bis zu den Seidenwürmern, den Bienen und den
wälderverheerenden Nonnenranpen, werden von Seuchen befallen. Alle
diese Epidemien werden, wie wir jetzt wissen, von mikroskopischen Pilzen
verursacht, deren Keime von Pflanze zu Pflanze, von Insekt zu Insekt
verbreitet, zugleich den Keim tödlicher Erkrankung übertragen.