1900 -
Gera
: Hofmann
- Autor: Henschke, Margarete
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Die Insel Capri.
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Pompeji. Hie und da steht in den Gärten eine Palme; die herrlichste
erhebt sich im Garten des Gastwirts Pagano, dessen Haus unter den
übrigen Capris der Palast zu nennen ist.
Die Capresen, etwa 2000 an der Zahl, sind in der That das
friedlichste Volk der Welt, milde von Sitten, bitter arm und emsig
thätig. Sie sind Acker- und Weinbauern oder Fischer, und nur diese
besitzen im allgemeinen ein Eigentum, ihre Barke und den Fisch, den
sie fangen. Die andern sind in der Regel Pächter, weil die meisten
Masserien Neapolitanern gehören.
Den dauernden Erwerb sichert den Capresen das Meer. Der
Fischer fängt hier Fische jeder Art, auch den Thunfisch und den
Schwertfisch, die Murena, vor allen die Sardine und den Calamajo
oder Tintenfisch. Dieser wird besonders nachts gefangen. Die Fischer
fahren mit der Dunkelheit in See und locken den Fisch durch den
Schein einer Fackel an die Oberfläche; das gräuliche, polypenartige
Tier krallt sich dann in die vielen Nadeln eines rückwärts wider-
stachelnden Stabes und wird so heraufgezogen.
Der Fischer liegt die ganze Nacht ans See, er kehrt erst mit der
Sonne wieder; dann geht er ans Trocknen der Netze und an das
Flicken der Maschen, dann schläft er ein paar Stunden, dann macht
er sich frisch wieder znm Fange auf. Es ist ein armseliges und mühe-
volles Leben, das Meer oft trügerisch, und nicht ein paar Carlin wert,
was eine ganze Fischergesellschaft in dem Netze findet.
Das emsige Leben an der Marina grande, dem einzigen Hafen der
Insel, wo eine Reihe von Häusern steht, gewährt zu allen Zeiten einen
großen Reiz. Der Strand ist hier kurz und schmal, vor dem Wogen-
schlage nicht sicher, und giebt nicht Raum genug. Deshalb werden
die Kähne beim Sturm in gemauerte Schuppen hineingezogen.
Fast alle Barken der Marina gehören Fischern in Capri, nur
wenige auch Leuten von droben in Ana-Capri. Denn die Natur hat
dieses zweite Städtchen der Insel vom Meere abgesperrt. Dagegen gehen
viele junge Männer Ana-Capri's und mehr als von Capri in die
Fremde auf den Korallenfang. Jährlich verlassen ihre Heimat etwa zwei-
hundert. Für Rechnung der Korallenhändler in Torre del Greco wagen
sie sich in ihren Barken in die Meerenge von Bonifacio und an die
Küsten Afrikas. Sie gehen im März und kommen im Oktober wieder;
dann finden sie, was seitdem das Schicksal in ihrer kleinen Welt zur
Freude und zum Leide gereift hat, Treue und Untreue, neues Leben
und plötzlichen Tod. Wenn sie hundert Dukaten gewonnen haben,
heiraten sie ihren Schatz. Denn in Capri gelten 100 Dukati als Er-
fordernis zum Heiraten. Mir erzählte ein Maler, daß er mit seinem
Jungen, der ihm die Staffelei nachträgt, folgendes Gespräch gehabt