Anfrage in Hauptansicht öffnen

Dokumente für Auswahl

Sortiert nach: Relevanz zur Anfrage

1. Deutsche Prosa - S. 302

1900 - Gera : Hofmann
302 Gustav Schmoller. liche Größe der Zimmer beträgt 16 Fuß Länge und 10 Fuß Breite. Man findet 1 bis 2 Betten, Stühle, von Sopha nicht zu reden, einen kleinen eisernen Ofen, und das ist alles. Sämtliche Sachen aber so schlecht, daß man sie schlechter nicht finden kann. Zn erwähnen ist auch noch der ungeheure Schmutz in diesen Wohnungen. Ich fand Betten — wenn man es überhaupt so nennen kann —, die thatsächlich rabenschwarz waren. Wenn ich so in einem Zimmer war, so dachte ich: wo mögen doch nur die Leute alle schlafen, denn ich fand zuweilen ein Bett nur und eine Familie mit 5 Kindern. Vier schlafen alsdann in einem Bett, die übrigen Personen auf der Erde, entweder auf Stroh oder altem Zeug. Nun glaube man aber nicht, daß nur eine Familie in solchem Zimmer wohnt, nein, mitunter sind es zwei, ja ich weiß sogar von drei, die dann noch vier Kinder haben, von denen drei in einer Wiege liegen. — Und wie viele andere neuere Berichte erzählen uns noch Grauen- hafteres. Ich erinnere nur noch an jene Schlashäuser, wo in ver- pesteter Luft, ohne je kalt zu werden, dieselben Bettstellen Tag und Nacht verschiedenen Serien von Arbeitern, die in Wechselschicht thätig sind, dienen, an jene Quartiere, wo Männer und Weiber je nur für eine Nacht kampieren und bezahlen. In diese Wohnungen der Arbeiter und der Armen, die einen großen Teil unserer heutigen Groß- und Industriestädte ausmachen, kommt kein gesitteter Mensch — außer von Zeit zu Zeit der Polizist, der Steuerbeamte, der Armenpfieger und der Geistliche, selbst der Arzt kaum, den kann ja der Arme nicht bezahlen. Die Besitzenden und Gebildeten sehen das Elend nicht, vielfach wollen sie es auch nicht sehen. Seit die unvergleichliche Feder von Boz zum ersten Mal den Schleier aufhob, der dieses entsetzliche Gemälde bisher verhüllte, hat man freilich angefangen, sich über das Rätsel zu besinnen, mit immer deutlicherer Stimme haben Ärzte, Menschenfreunde, Missionare, tüchtige städtische Beamte, Sozialpolitiker versucht, an das eingeschläferte Ge- wissen der Gesellschaft sich zu wenden; und wer schroff die psychologische Wahrheit aussprechen wollte, der mußte sagen: die Zustünde sind so entsetzlich, daß man sich nur wundern muß, daß die Folgen nicht noch schlimmere geworden sind. Nur weil ein großer Teil dieser Armen bis jetzt einen Schatz guter Sitte, kirch- licher Überlieferung, anständiger Empfindungen mit in diese Höhlen aus früherer Zeit gebracht hat, ist das Äußerste noch nicht geschehen. Das Geschlecht von Kindern und jungen Leuten aber, das jetzt in diesen Löchern aufwächst, das muß mit Notwendigkeit alle Tugenden der Wirtschaftlichkeit, der Häuslichkeit, des Familienlebens — alle Achtung
   bis 1 von 1
1 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 1 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer