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1. Deutsche Prosa - S. 321

1900 - Gera : Hofmann
Vom Reichtum. 321 einen grünen Zweig, bemerkt der wohlhabende Philister. Schade nm den Mann, sagt der Mitleidige, er ist nicht ohne Talent, aber so ent- setzlich nnpraktisch. Er ist ein Enthnsiast, heißt es znr Linken, und das Echo znr Rechten ruft: er ist ein bummer Teufel. Er ist ein dummer Teufel! Wer Mutterwitz hat, der wird ihn anwenden, um Geld zu verdienen; wer kein Geld verdient, hat keinen Mutterwitz. Das ist die Logik der Millionäre und der Millionen. War es nicht Thales von Milet, einer von den sieben Weisen Griechen- lands, der ans gleichem Grunde in seiner Vaterstadt für einen dummen Teufel galt, bis er eines Tages — eine große Wahrheit entdeckte? eine tiefsinnige Lehre verkündete? — Bis er eines Tages eine glück- liche Ölspeknlation machte. Er war, so scheint es, etwas von einem Meteorologen oder von einem Botaniker; er hatte das Wetter beobachtet und die Olivenbänme; er hatte eine Mißernte vorausgesehen und wollte den Philistern nun einmal zeigen, daß ein Weiser ebenso klug und klüger sein könne wie sie. Alles Öl, so viel er konnte, kaufte er ans, und die Olivenernte schlug fehl, und die Preise stiegen, und Thales von Milet machte ein brillantes Geschäft, und die Leute sagten: Wer hätte das gedacht! und fingen an, ihn zu respektieren. Die Geschichte ist vielleicht nicht streng geschichtlich; aber der Freiherr von Liebig ge- hört ans keinen Fall bloß der Sage an. Der Freiherr von Liebig erwarb sich mehr als einen europäischen Ruf, nämlich auch einen amerikanischen, und er fand zahlreiche Verehrer in dem sogenannten großen Publikum. Er war gerade in dem umgekehrten Falle wie der alte Weise von Griechenland. Seine Gelehrsamkeit glänzte in Kreisen, welche sonst von wissenschaftlichen Verdiensten wenig Notiz zu nehmen pflegen. Und forscht man nach dem Grunde, so wird man finden, daß er seinen Ruhm mehr den Ölspeknlationen als der reinen Chemie ver- dankte. Er hatte den richtigen Weg eingeschlagen, um den Leuten Achtung vor der Forschung beizubringen. Das leuchtete ihnen ein, wenn man ihnen sagte: sehet da, ein Gelehrter, welcher jährlich so und so viel tausend Gulden verdient, weil er die Geheimnisse von Stall- fütternng, die Mysterien der Düngung und die Rätsel der Garnfärberei versteht! Vor einem solchen Manne zog man den Hut, obwohl, wenn man's genau nimmt, vor ihm nicht so sehr, wie vor den Gulden, die er repräsentierte. Wenn man ans den einzelnen Beobachtungen den allgemeinen Schluß zieht, wenn man den Leuten ins Gesicht sagt: du und du und du, ihr achtet das Geld höher als Tugend, Weisheit und Verstand! so kann man sich ans einstimmigen Protest gefaßt machen. Gott be- hüte uns vor solcher Roheit! Nein, nein: Armut schändet nicht und Reichtum macht nicht glücklich! Weisheit und Tugend! Tugend und M. Henschke, Deutsche Prosa. 21
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