1900 -
Gera
: Hofmann
- Autor: Henschke, Margarete
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Das Haus.
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liebe für den genauen Abdruck aller Natur- und Kulturformen unserer
Zeit ganz besonders eignet. Waren nicht schon unsere Voreltern gern
zu Gast in den Pfarrhäusern zu Wakefield und Sesenheim? wehte nicht
wohnliches Behagen und heitere Sicherheit sie an aus dem Patrizier-
hause am Hirschgraben zu Frankfurt am Main, saßen sie nicht gern
in dem schattigen Stübchen unter den plaudernden Gästen des Löwen-
wirts, und baute sich nicht deutlich und fest vor ihrer Phantasie das
Haus auf, zu dessen Gründung auf väterlichem Boden Hermann die
edle Heimatsflüchtige sich gewann? Ja noch weiter zurück: die Welt
der Griechen, deren Kenntnis fast seit einem Jahrhundert für die
Bildung unserer Jugend beglückend und bedeutend geworden ist, sie
steht nicht nur vor uns in ihren Heldenkämpfen, in ihren monumentalen
Bauten und Bildwerken, in ihrer Philosophie. Auch ihr Ideal treuer
Hausgemeinschaft, wohlgeordneten Hausregiments, ja selbst die Gefühle
sind uns vertraut, welche ihnen das Heimwesen ehrwürdig machten und
den geprüften Helden aus der Fremde mit mächtigem Zuge zurückführten.
Wie hoch das Haus gipfele, wie bescheiden es sich an den Boden
schmiege: von fester Hand gebaut, von treuem Sinn geschirmt, ist es
eine der natürlichen Ausdrucks- und Darstellungsformen menschlichen
Seins, an welchen die Tiefe und der Reichtum der Güte sich kund
thut, die uns das vorübereilende Leben lieb und heimisch machen,
unserem hilflosen Eintreten und unserem stillen Abscheiden eine schützende
Stätte geben wollten. Das Martyrium, welches der Heiland auf sich
genommen hat, wird uns in keinem Wort ergreifender vergegenwärtigt
als in jenem Ausruf: „Die Vögel haben Nester, die Füchse haben
Gruben, aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlege!"
Da das Haus unsere engere Heimat ist, erscheint naturgemäß dem
Angehörigen jeder Nation die Gestalt, welche das Haus in seinem
Vaterlande angenommen hat, als die der Idee der Häuslichkeit ent-
sprechendste; selbst die einzelnen Vorzüge, welche der Unbefangene der
häuslichen Einrichtung und Sitte anderer Nationen zuerkennen müßte,
würden ihm das Gefühl des Zuhauseseins nicht erhöhen, wenn er sie
plötzlich auf das eigene Heim übertragen sähe. Immerhin mag es
frommen, die eigene Art im Licht der fremden zu betrachten. Nur ^
einige der Züge seien erwähnt, in denen das Hans des uns stamm-
verwandten Engländers vom deutschen sich unterscheidet.
Es ist ein unleugbarer Vorzug des englischen Hauses vor dem
deutschen, daß die Arbeitsteilung eine strengere ist, daß der Herrschende
wie der Dienende für die in sein Arbeitsgebiet fallenden Leistungen eine
bestimmtere Verantwortlichkeit trägt und daß somit das Tagewerk des
einzelnen nicht durch Übergriffe in das Tagewerk des anderen gestört
M. Henschke, Deutsche Prosa. 25