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1. Teil 7 = (Für Prima) - S. 68

1906 - Leipzig : Freytag
68 standene Wort entgegenhält: „wo zwei oder drei von Euch versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen". Gewiß war Luthers Tat eine Revolution, und da der religiöse Glaube im innersten Kern des Volksgemüts wurzelt, so grisf sie in alles Bestehende tiefer ein, als irgendeine politische Umwälzung der neuen Geschichte. Es ist wahrlich kein Zeichen evangelischen Mutes, wenn manche wohlmeinende Pro- testanten dies zu leugnen oder zu verhüllen suchen. Nur ein Mann, in dessen Adern die ungebändigte Naturgewalt deutschen Trotzes kocht, konnte so Ver- messenes wagen. Die ganze alte Ordnung der sittlicheil Welt, die einem Jahr- tausend heilig gewesen, die lange Kette der ehrwürdigen Traditionen, welche das Leben der Christenheit gebunden hielten, brach mit einem Schlage zusammen, und lebhaft können wir heute dem Gegner des Reformators, dem Elsässer Murner nachempfinden, wenn er beim Anblick der ungeheuren Zerstörung jammernd ausrief: Alle Bücher sein erlogen, Die je beschrieben sind. Die Heilgen han betrogen, Die Lehrer sein all blind! Die Größe der historischen Helden besteht in der Verbindung von Seelen- kräften, die nach der Meinung des platten Verstandes einander ausschließen. So gewaltig die Kühnheit des schlichten Mannes, der sich selber nur eine Gans unter den Schwänen nannte und dennoch sich vermaß, gegen die stärksten politischen und sittlichen Mächte der Zeit in die Schranken zu treten, ebenso erstaunlich erscheint von Haus aus seine Mäßigung. Nie war er kühner, als da er den Bilderstürmern von Wittenberg die Mahnung der Liebe zurief: macht mir nicht aus dem Frei sein ein Muß sein! Mit kindlichem Vertrauen baute er auf die Macht des göttlichen Wortes allein. Und sein Glaube trog ihn nicht; denn nachdem erst die wilden Zuckungen des Bauernkrieges und bet Wieder- täuferei überwunden waren, vollzog sich der Sieg der Reformation in Deutsch- land fast überall friedlich, frei aus dem Volke heraus. Bei allem Häßlichen, das sich mit ansetzte, trug die große Bewegung doch jenen Charakter schlichter Treuherzigkeit und Kraft, der alle großen Epochen der deutschen Geschichte auszeichnet; sie schenkte unserem Volke die Form des Christentums, welche dem Wahrheitsdrange und der unzähmbaren Selbständigkeit der deutschen Natur zusagt, gleichwie die römische Kirche der Logik und dem Schönheitssinne der Romanen, die orthodoxe Kirche der halborientalischen Gebundenheit der gräco- slavischen Welt entspricht, llnd weit hinaus über den Kreis seiner Glaubens- genossen wirkte Luthers Wort; er war im Rechte, wenn er den deutschen Bischöfen zurief: „Ihr habt mein Evangelium verdammen lassen, habt es aber heimlich und in vielen Stücken angenommen." Mit gutem Grunde nennen wir ihn heute einen Wohltäter auch der alten Kirche. Denn auch sie ward durch ihn gezwungen, ihre sittlichen Kräfte zusammenzuraffen, auch sie blieb
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