1911 -
Leipzig
: Dürr
- Autor: Lorentzen, Theodor, Meyer, Alfred Gustav, Weise, Paul, Rode, Albert, Nagel, Louis
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt, Oberrealschule, Realgymnasium, Realschule
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
128
Prosaheft Vii.
Friedrichs (16. April 1198) gelangte Leopold allein zum Besitz der
österreichischen Lande und diente durch alle Fährlichkeiten dem Interesse
der Staufer. Das mag auch Walthern beeinsiußt haben, denn, soweit wir
es wissen, trat er sofort ohne Zögern als Parteimann für Philipp,
Herzog von Schwaben, den jüngeren Bruder des verstorbenen Kaisers,
auf, der am 8. März 1198 zu Mühlhausen in Thüringen von den ver-
sammelten Fürsten zum Könige gewählt worden war. Nach einigem
Schwanken rief die Gegenpartei, welche in Köln ihren Schwerpunkt und
in dem Erzbischof Adolf einen tatkräftigen Führer besaß, den Grafen
Otto von Poitou aus dem Hause der Welfen am 9. Juni desselben
Jahres zum König ans. So war geschehen, was man allerwegen
fürchtete, das deutsche Reich hatte zwei Herren, und der brudermörderische
Kampf begann.
Wohl hatte Walther Ursache, als er diesmal den Hof zu Wien ver-
ließ, Gottes Segen für seine Fahrt zu erflehen:
Mt sselden müeze ich hiute üf sten
got herre, in diner huote gen
und riten, swar ich in dem lande kere.
Krist herre, läz mir werden schin
die grözen kraft der güete din,
und pflic min wol dur diner muoter ere.
Als ir der heilig engel pflsege
und din, dö du in der kripfen lgege,
junger mensch und alter got,
demüetic vor dem esel und vor dem rinde
(und doch mit sseldericher huote
pflac din Gabriel der guote
wol mit triuwen sunder spot),
als pflig ouch min, daz an mir iht erwinde
daz din vil götelich gebot.
Mit Trauer blickte Walther auf Wien zurück, denn der heitere,
sangesfrohe und milde Herzog Friedrich war vom Kreuzzuge nicht heim-
gekehrt, und der nun an seiner Statt das Herrscheramt übte, Herzog
Leopold, war härter und der Kunst des Dichters weniger freundlich
gesinnt. So kleidet denn dieser sein Gefühl in einen Spruch, welchen
er dem Hofe selbst in den Mund legt.
Oer hos ze Wiene sprach ze mir:
‘Walther, ich solte lieben dir,
nü leide ich dir: daz müeze got erbarmen.
Min wirde diu was wilent gröz:
dö lebte niender min genöz,
wan künec Artüses hos: so we mir armen!
Wä nü ritter unde frouwen,
die man bi mir solte schouwen?
seht wie jamerlich ich ste.