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1. Für Ober-Sekunda und Prima - S. 255

1911 - Leipzig : Dürr
W. H. Riehl, Das landsckaftliche Auge. 255 zehnten Jahrhunders, wie ja auch alle Landschaft in Wirklichkeit breit und langgestreckt vor uns liegt. Das klassische Altertum hatte so wenig als die ihm nacheifernde Zeit der Renaissance und des Rokoko ein ausgebildetes Auge für die Alpenschönheit. Humboldt erwähnt, daß kein einziger römischer Autor der Alpen anders als etwa mit Klagen über ihre Umwegsamkeit malend gedenke, und daß Julius Cäsar die Mußestunden einer Alpenreise benutzt habe, um — eine grammatische Schrift de analogía anzufertigen. Auf Bibelvignetten aus dem achtzehnten Jahrhundert ist das Paradies, also das Urbild jungfräulicher Naturherrlichkeit, als die langweilige Ebene eines völlig hügellosen Gartens dargestellt, in welchem der liebe Gott seine eigene Arbeit bereits korrigiert und mit der Schere eines französischen Gärtners aus den Baumgruppen geradlinige Alleen, Pyra- miden u. dgl. herausgeschnitzelt hat. Dagegen ist auf älteren Holz- schnitten das Paradies wohl als eine wirkliche hochanstrebende Wüstenei gegeben, wo dem Adam überhangende Felsblöcke in den Weg treten, die mit dem Begriff des mühe- und gefahrlosen Naturlebens in gar selt- samem Gegensatz stehen. Unsere Väter sahen in einer lieblichen, reich angebauten Gegend noch häufig ein Bild des Paradieses, während wir viel eher mit jenen mittelalterlichen Meistern in einer Urwildnis aus- rufen möchten: „Die unvergleichlich hohen Werke Sind herrlich wie am ersten Tag." Bei den landschaftlichen Episoden in mittelalterlichen Bildern findet man fast nie den Wald gemalt. Sollte dies, sollten die bloß dünn, gleichsam mit gezählten Blättern belaubten Bäume der alten Italiener lediglich aus mangelhafter Technik so geworden sein? Das damalige Geschlecht hatte doch noch ein ganz anderes Urbild von der unver- fälschten und unverkümmerten Herrlichkeit des Waldes als wir, für die fast nur noch ein nach Maß und Elle abgegrenzter, vom Beil verwüsteter forstkulturlicher Wald besteht. Die dichterische Schönheit des Waldes haben die mittelalterlichen Dichter tief genug empfunden; aber ein land- schaftliches Auge für denselben gewannen die Menschen erst, als sie aus dem Walde herausgekommen, als sie ihm fremder geworden waren und er selber zu verschwinden begann. So weiß der Bauer im Volksliede manchen zarten Reiz der Naturschönheit dichterisch zu enthüllen; für die malerische Schönheit der Landschaft dagegen hat er höchst selten einen Blick. Es geht ihm hier noch wie weiland dem Pastor Schmidt von Werneuchen, der den Berlinern den Blick auf ein Gerstenfeld als ein „Wunder der Aussicht" in Hexametern besungen hat. Als der Wald noch die Regel und das Feld die Ausnahme in Deutschland bildete, galten unstreitig die Rodungen, die Oasen des geklärten Landes, das Lichte, Freie für das landschaftlich Anziehendste, während uns, die wir
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