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1. Für Ober-Sekunda und Prima - S. 416

1911 - Leipzig : Dürr
416 Prosaheft Vil 46. Miederelöische Landschaft. Richard Linde, Die Niederelbe. (Berlin, Bielefeld und Leipzig, Verl, von Velhagen & Klasing.) Man kann es verstehen, wenn die niederelbische Landschaft nur in geringer Wertung steht. Sie verzichtet in der Tat auf alles oder doch auf fast alles, was gemeinhin sinnenfällig ist: grüne Waldwogen, schroffe Felsen, geschwungene Pfade mit verträumten Ausblicken, zwischen Moos- gestein zu Tal schäumenden Wildbach. Alle diese wundervollen Bilder des Felsenbodens suchen wir hier vergebens. Am Septembermorgen rohrt kein Hirsch, die Nachtigall selbst meidet dieses kahle Nebelland, kein Mädchen beugt sich über steingefaßten Quell, schreitet den Henkel- krug auf dem Haupt, die Hand erhoben, den Bergpfad hinab oder kommt, wenn der Tag sich gesenkt, zum Marktbrunnen zu fröhlicher Kurzweil. Hier steigt die wasserholende Magd in den Keller hinab, wo die Zisterne steht voll trüben Regenwassers, das der Filter erst trinkbar macht, ein häßliches, ganz unmalerisches Bild. Und doch ist auch diese scheinbar so reizlose Landschaft ein Kind ewig reicher Natur, und das Menschenleben ist hier wie dort organisch erwachsen. Man wird es versuchen müssen, diese Landschaft aus sich heraus zu verstehen, so wie man einen eigenartigen Menschencharakter aus gegebener Anlage und Lebensschicksalen abzuleiten versucht. Es ist überflüssig zu sagen, daß man nicht den Reiz der unbe- rührten Natur hier suchen soll. Die Marschen sind die ausgeprägteste Kulturlandschaft, die wir in Deutschland haben. Nicht nur die Ober- fläche hat der Pflug gewendet und die Saat begrünt, sondern der Boden selber ist unter der helfenden Hand des Menschen ausgeschüttet und geformt. Was hier liegt, ist das Ergebnis einer vielhnndertjührigen Arbeit. In diese große ebene Tafel ist alles Schaffen, alles Hoffen, alles Leiden, alles Gewinnen und Verlieren eingezeichnet. Ans Schlamm- und Schilswildnis ist durch Arbeit geadeltes Kulturland geworden. Nur der Außendeich und noch mehr der herrliche, breite Strom bewahren Bilder unberührten Naturlebens. Dieses Kulturland ist altes Wasserland. Wasser und Land durch- dringt sich hier so wie nirgends. Wasser wird zu Land, Land zu Wasser; zwischen den Häusern liegen die Schiffe und die Häuser auf Pfählen im Wasser. Das Wasser rinnt in der Tiefe, es quillt zutage, es überschwemmt die tiefer liegenden Striche, es webt im feuchten Nebel- schleier über dem Boden. Das ist die Mitgabe der Natur, das eigent- lich Besondere, aus der alle Eigentümlichkeiten in letzter Linie sich erklären. Von dem Wasser stammt die ebene Linie, das Elementare, der meergleiche Horizont mit dem unendlichen Himmelsgewölbe darüber. Das ist es, was das Menschenkind in der Fremde nie vergißt, wonach
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