1874 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Nacke, Carl
- Hrsg.: Lüben, August
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Bürgerschule
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Neuzeit
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Ach, nicht doch! nicht doch, Herr Flau! Gehn muß Er immer
darnach, aber sich nur hübsch in Acht nehmen, wie Er's Gesicht
trägt.
Was? Wie ich's Gesicht trage? —
Ja, Herr Flau! Wie Er's Gesicht trägt. Ich will's Ihm
erklären. — Als da mein Nachbar zur Linken sein Haus baute,
so lag einst die ganze Straße voll Balken und Steine und Spar-
ren: und da kam unser Bürgermeister gegangen; Herr Trick,
damals noch ein blutjunger Rathsherr: der rannte, mit von sich
geworfenen Armen, in's Gelag hinein, und hielt den Nacken so
steif, daß die Nase mit den Wolken so ziemlich gleich war. —
Plump! lag er da, brach ein Bein und hinkt noch heutiges Tages
davon. — Was will ich nun damit sagen, lieber Herr Flau? —
Ei, die alte Lehre: Du sollst die Nase nicht allzuhoch
tragen!
Ja, sieht Er? Aber auch nicht allzuniedrig. — Denn^nicht
lange darnach kam noch ein Anderer gegangen; das war der L>tadt-
poete, Herr Schall: der mußte entweder Verse oder Haussorgen
im Kopfe haben; denn er schlich ganz trübsinnig einher und
guckte in den Erdboden, als ob er hineinsinken wollte. — Krach!
riß ein Seil, der Balken herunter, und wie der Blitz vor ihm
nieder. — Vor Schrecken fiel der arme Teufel in Ohnmacht,
ward krank und mußte ganze Wochen lang aushalten. — Merkt
Er nun wohl, was ich meine, Herr Flau? wie man's Gesicht
tragen muß?
Sie meinen, so hübsch in der Mitte. —
Ja freilich! daß man weder zu keck in die Wolken, noch zu
scheu in den Erdboden sieht. — Wenn man so die Augen fein
ruhig, nach oben und unten und nach beiden Seiten umher wirft,
so kommt man in der Welt schon vorwärts, und mit dem Unglück
hat's so leicht nichts zu sagen.
Noch ein andermal besuchte den Herrn Witt ein junger An-
fänger, Herr Mills; der wollte zu einer kleinen Speculation
Geld von ihm borgen. — Viel, fing er an, wird dabei nicht
herauskommen; das seh' ich vorher; aber es rennt mir so von
selbst in die Hände. Da will ich's doch mitnehmen.
Dieser Ton stand dem Herrn Witt gar nicht an. — Und
wie viel meint Er denn wohl, lieber Herr Mills, daß Er braucht? —
Ach, nicht viel! Eine Kleinigkeit! Ein hundert Thälerchen
etwa. —
Wenn's nicht mehr ist: die will ich Ihm geben. Recht gern!
— Und damit Er sieht, daß ich Ihm gut bin, so will ich Ihm
obendrein noch etwas Anderes geben, das unter Brüdern seine
tausend Reichsthaler werth ist. Er kann reich damit werden. —
Aber wie, lieber Herr Witt? Obendrein!