1904 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Lüben, August, Nacke, Carl
- Hrsg.: Huth, H.
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Bürgerschule
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Neuzeit
285
erleuchtet den düstern Wohnort, in dem sich jeden Abend die wilde
Familie der Fellahs versammelt, wo die am Tage gemachte Beute
und der Fund in dem Schutt der Grüfte gezeigt wird. Diese halb
nackten, schlauen Höhlenbewohner erzählen sich da ihre Fata,9) ge-
lagert auf die Schädel und Mumienreste aus den Zeiten der Pha-
raonen und Ptolemäer; ihr Huhn braten sie am Feuer aus den Toten-
gebeinen und Mnmiensärgen und denken auf neuen Fang für den
folgenden Tag. Belzonis^o) nähere Bekanntschaft mit diesen Höhlen-
bewohnern leitete ihn zu den höchst wichtigen Entdeckungen in ihrem
ganz durchbrochenen Gebirge; denn er brachte sie durch den ver-
trautesten Umgang dahin, daß sie auf Taglohn für ihn in den Grüften
arbeiteten, wodurch er diese, die bis dahin selbst sehr unbekannt waren,
genauer kennen lernte.
Tenn so eng und unscheinbar auch die Eingänge sind, so weit-
läufig wird das Innere dieser Katakomben, die oft in ungeheurer Aus-
dehnung sich in dunkler Verwirrung hinziehen, die schon manchem
Neugierigen das Leben kostete. Tenn überall sind unterirdische Gänge,
Gemächer, Seitenkammern, Hallen, gerade Treppen hinab und Wen-
deltreppen in die Tiefe, lange Korridors, von senkrechten Brunnen
oder Schachten unterbrochen u. s. w., auf allen Seiten halb verschüttet,
zugefallen, schon chaotisch durchwühlt in frühern Jahrhunderten, die
Gänge öfter nur hoch genug zum Durchkriechen auf dem Bauche, da-
bei eine weit höhere Temperatur als in freier Luft, oft große Hitze,
gewöhnlich bis 22 Gr. nach Reaumurs Thermometer, größte Trocken-
heit, daher der enge Luftraum erfüllt mit dem scheußlichen Staube der
schwarzen Mumien, die zu vielen Hunderten und Tausenden in allen
Winkeln und an allen Wänden aufgeschichtet liegen, und samt vielen
Ornamenten,") die sie umgeben, wie Mehl zerfallen bei starker Be-
rührung, so daß der Fuß, der auf sie tritt, leicht durch mehrere
Mumienleiber hindurchsinkt, und oft ist kein Schritt zu tun, ohne
eine Mumie in den Staub zu treten. Zu alle diesem noch das
dampfende Licht der Fackeln, welche überall aus den Winkeln die
Scharen: der Fledermäuse aufschreckt, die hier in der unterirdischen.
Wärme, in dem Dunkel und der Totenstille zu unzählbaren Schwär-
men sich vermehren.
Die engen Eingänge aller Katakomben in sehr große Tiefen
setzen voraus, daß nur wenige Menschen zugleich in dem Innern
der Hypogüen") arbeiten konnten; sie bildeten sich also sehr allmäh-
9) Schicksale. 10) Ein römischer Mönch, berühmt durch Entdeckung und Unter-
suchung ägyptischer Altertümer (Pyramiden, Königsgräber usw.), geb. zu Padua 1778,
gestorben auf dem Wege nach Benin zu Gato in Wüstafrika 1826. 11) Verzierungen.
12) Unterirdische Grüfte, Gemächer, soviel wie Katakomben.