1884 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
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Hüter mit der Linken nach dem Geldstück, stieß auch das Gitter aus,
murmelte etwas wie ein „Gelt's Gott treulich und fleißig!" und beugte
dann rasch um uach der Hütte. Erst als der Pfarrer schon daheim
saß, kam ihm plötzlich, da er von seiner Begegnung erzählte, das heutige
Thun und Wesen des Kohlhofer Martls, mit welchem er übrigens schon
öfters auf den Waldwegen der Umgegend, wie auch an dieser Stelle
zusammengetroffen war, seltsam und ungewöhnlich vor. Derselbe hatte
ihn früher niemals mit so wunderlicher Artigkeit an der Zaunpsorte
erwartet; auch war es ihm nun, als habe der Martin irgend etwas
unter seiner Juppe verborgen; kurzum, er fürchtete sich jetzt nachträglich
vor dem alten, verrufenen Kohlenbrenner. Weil er aber doch schon ein-
mal wohlbehalten hinter dem Tische beim Abendbraten saß, ging solche
Furcht bald vorüber und scheint bei unserem hochwürdigen Freunde selbst
sich nicht mehr eingestellt zu haben, als später sogar der Verdächtige
gastlich bei ihm einsprach, und der öftere Besuch bis zu Martins Todes-
tag dauerte, welcher auf ein paar Jahre früher fallen mochte, als das
Gespräch im Herrenstübl, dem wir diese Geschichte entnehmen.
Von dem Sterbetage des Kohlhofers datierte sich aber der Schluß
bemeldeter Erzählung unseres Herrn Pfarrers, und wir lassen ihn den-
selben am besten selber vortragen. „Wohl etliche Jahre nach selbiger
verwunderlicher Begegnis," so hob der Hochwürdige an, „kömmt einmal
just nach der Vesper an einem Sonntage in der Fasten ein Mädl zu
mir in den Wildsteiger Pfarrhof gelaufen; die sagt: ,Hochwürden Herr-
Pfarrer, Ihr solltet so gut sein und weidlich zum Vater kommen, er will
sterben/ Ich kannte dies Geschöpf nicht und fragte: ,Wer ist denn dein
Vater ?‘ Sagt sie: ,Der Kohlhofer Martin, und er hat gesagt, er hätte
Euch was zu sagen, — Ihr möchtet Euch nur schleunen, weil er meint,
er werd's nimmer lang machen/ Ich nehm' also flink Hut und Stock
und mach' mich auf nach der Räuberhöhle, wohin mir das Mädl voran-
läuft. In einer Erbärmlichkeit, die ich nicht beschreiben kann, liegt dort
der Martin auf einem Strohsacke, und ich hab' wohl ebenfalls gemerkt,
daß es bei ihm Matthäi am letzten heiße. Er winkt der Stube voll
Kinder, — sein Weib war schon eine gute Weile früher gestorben, —
und schickt sie hinaus, als ob er beichten wolle. Darum rück' ich mir
einen Stuhl an sein — sozusagen — Bett, setz' mich zu ihm und sag':
,Nun Martin, da wär' ich in Gottes Namen, rückt nur heraus mit der
Sprach', — was habt Ihr mir anzuvertrauen? Wir werden schon zu-
rechtkommen miteinander, und Ihr noch leichter mit dem lieben Herr-
gott, der da nicht will den Tod des Sünders^ u. s. w. Kurz, ich rede
so, wie's der Brauch ist. Der Martin hört eine Weile ganz fleißig zu;
endlich spricht er: ,Hochwürden, ich dank' schön für die Zusprache, ich hab'