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1. Mancherlei für Jung und Alt - S. 122

1884 - Freiburg im Breisgau : Herder
122 Die Mädchen von Capri sind weniger schön als lieblich und graziös. Ihre Züge haben oft etwas Fremdartiges. Die Linien der auffallend kurzstirnigen Gesichter sind regelmäßig und manchmal sehr edel geschnitten; das Auge ist von einem glühenden Schwarz oder von einem schwülen Grau; die braune Farbe, das schwarze Haar, das umgeschlagene Kopf- tuch, die Korallen und die goldenen Ohrgehänge geben dem Antlitz etwas Orientalisches. Ein ganz allgemeiner Schmuck der Weiber Capris und köstlicher als Gold sind ihre Zähne. Man muß diese zierlichen Gestalten in Gruppen vereinigt sehen, oder sie betrachten, wenn sie bergauf kommen, die antik geformten Wasser- krüge, oder Körbe voll Erde, oder Steine auf den Köpfen tragend. Weil sie arm sind, erwerben sie sich durch Lastträgerdienste kümmerlichen Lohn. Das Mädchen von Capri ist das eigentliche Lasttier der Insel. Alles trägt hier einen Zug von Kindlichkeit, und selbst in den schönen Greisengesichtern mancher Männer und Frauen kann man diesen Zug kindlicher Einfalt wiederfinden. Unter den Kindern giebt es viele bild- schöne Mädchen und Buben, und obwohl sie wild und kaum unterrichtet aufwachsen, setzt ihre Fassungskraft doch in Erstaunen. So also ist das Volk von Capri, und weil der enge Raum alles zusammenhält, dringt der Fremde schon nach wenig Tagen in die Ver- hältnisse der Bewohner ein und wird mit ihnen bekannt und vertraut. Es schwindet so sehr alles Gefühl der Fremde, daß man sich gewöhnt, sich als Mitglied dieser kleinen Volksgemeinde zu betrachten. Auf dem Platz am Thor drängt sich alles Öffentliche zusammen, der Verkauf von Handelsartikeln, die ganz der Bedürfnislosigkeit dieser Menschen ent- sprechen, wie das Festleben an Kirchentagen und das tägliche Vergnügen der Muße und des Geplauders nach der Arbeit. Dann und wann unter- bricht die beschauliche Einsamkeit die Ankunft von Fremden, welche im Gasthause Don Micheles einkehren, die Merkwürdigkeiten der Insel zu besehen und gleich wieder zu verschwinden. Aber es bildet sich ein Stamm von Gästen, die zusammen an einer Tafel speisen; meistens sind es Maler von verschiedenen Nationen, und diese Künstler werden bald zu einer charakteristischen Staffage der Insel, denn überall sieht man sie sitzen und malen, bald eines jener reizenden Häuschen mit der Weinlaube, bald einen bizarren Felsen, bald eine Baumgruppe oder eine Uferansicht. Doch giebt es nichts Herrlicheres, als auf dieser schönen Scholle umherzuschlendern, an den Klippen entlang zu klettern, oder am duftigen Meer zu spazieren, wo die Wellen wohlig rauschen und das ausatmende Seegras diesen scharfen, fast betäubenden Meeresgeruch verbreitet. Die stillste Einsamkeit und die Weite des Golfs mit seinen fernen Inseln und Küsten ist ganz wunderbar ergreifend, und wohl kann man stunden-
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