1884 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
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Einige musizieren auf Flöten und Tamburinen, andere weisen in kind-
lichem Entzücken auf die herrliche Erscheinung hin. Eine köstliche Gruppe
rechts singt aus einem breiten Notenstreifen ein himmlisches Quartett;
noch andere stützen und halten die Wolkenschichte, auf welcher die Madonna
emporgetragen wird. Einen entzückenderen Schwarm von reizenden Kindern
kann man nicht sehen.
Die auf der Erde zurückgebliebenen Apostel sind in einer Bewegung,
wie sie ein urplötzliches mächtiges Ereignis hervorruft. Staunen und
Bewunderung verbinden sich in ihrem Nachschauen mit Sehnsucht und
Begeisterung. Petrus ist, übermannt von der Erscheinung, auf den Rand
des Sarkophages niedergesunken, dem die Jungfrau eben entschwebte; in
flehendem Aufblicken hebt er die Hände, als rufe er: O nimm mich mit!
Energischer drückt sich dieselbe Empfindung in der mächtigen Gestalt zu
seiner Linken aus, vermutlich Paulus. Er schreitet kühn (den rechten
Fuß sogar in gar zu gewaltsamer Stellung) vorwärts und breitet so
leidenschaftlich seine Arme empor, als ziehe ihn eine geheime Gewalt der
Verherrlichten nach. Von edelster Begeisterung glühend, blickt der männ-
lich schöne Johannes ebenfalls hinauf und legt wie beteuernd die Hand
auf die Brust. Die übrigen stufen sich in entsprechenden Graden des
Anteils mit charakteristischer Mannigfaltigkeit ab. Mit wenigen Aus-
nahmen sind diese Ausbrüche höchster Begeisterung ungezwungen und groß-
artig schön entwickelt. Durch den ganzen mächtigen Zug der Empfindung
aber, der alle erfüllt, hat der Künstler weise die untere Gruppe mit
der obern verbunden.
Von der Ausführung ist zu sagen, daß sie alle Vorzüge Tizianscher
Kunst im höchsten Maße vereint. Die Glut und feurige Kraft der Farbe
wird durch ein fein abgewogenes Helldunkel und durch zarte Mitteltöne
zu harmonischem Schmelz verbunden. Nie vielleicht, selbst bei Tizian,
hat die Farbe wieder eine solche Jubelsymphonie himmlischer Herrlichkeit
angestimmt. Wilhelm Lübke.
Helgoland.
Aus der Nordsee grünen Wogen ragt ein Felsen stolz empor,
Den ein rvackres Friesenvölkchen sich zum Wohnsitz auserkor.
Rings umbraust von wilden Fluteil, ist sein Feld der Meeresplan,
Und sein Pflug, der kleine Nachen, bricht mit scharfem Kiel sich Bahn.
Auf den Feldern keine Saaten, auf der Insel grünt kein Baum.
Nur der Tang zieht um den Felsen einen dunkelgrünen Saum.
Keine Blüte labt das Auge, dich erfrischt kein Blumendust;
Doch soweit die Blicke schweifen, grün das Meer lind blau die Luft.
Ja das Meer, das ist der Acker, den der Friese keck befährt,
Der verschwenderisch ihm bietet, was sein freies Herz begehrt.
Ap dem Meer ist seine Heimat, stets winkt ihm der weite Plan,
Sei's im goldnen Sounenglanze, sei's im donnernden Orkan.
Lesebuch. g