1884 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
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Da schwingt sie nieder sich zur Stund',
Lobpreisend Gott mit Herz und Mund,
Und mit den Blumen, die sie gepflückt,
Hat sie des Heilands Bild geschmückt.
Franz Kugler.
Festrede zur fetcrltdjeit Wiedereröffnung des üaiserdomes zu Speier
am 15. November 1853.
Es war am 13. Juni des Jahres 1843, als König Ludwig von
Bayern nach Speier kam, den altehrwürdigen Dom dieser Stadt zum
zweitenmale zu besuchen. Es war in der sechsten Frühstunde. Auf
dem weiten Ringe vor dem Münster harrten schon zahlreiche Volks-
scharen, den königlichen Gast zu begrüßen. Aber alle, die da im Kreise
umherstanden, harrten diesmal mit zweifach gespannter Erwartung der
kommenden Dinge. Es war kund geworden, des Königs Besuch sei
diesmal für den Dom von besonderer Bedeutung, es gelte der Prüfung,
ob das alte Gotteshaus für die Ausführung der großartigen Kunst-
schöpfnngen, die der königliche Gedanke in sich trug, sich eigne; und es
war hinzugesetzt worden, noch schwanke des Königs Wahl in der Bestim-
mung des Gotteshauses, dem er sein fürstliches Geschenk zuzuwenden ge-
denke, ob dem Dome zu Speier oder einem andern im Königreiche. Das
hielt die Gemüter in Spannung. Der König kam. Am Portale vom
hochwürdigsten Bischof von Speier und dem Regierungspräsidenten der
Pfalz empfangen, betrat er die Hallen dieses Gotteshauses. Er schritt
durch das Schiff und die Abseiten, und sein aufmerksames Auge betrach-
tete prüfend die Pfeiler und Mauern. Er durchwanderte den Stephans-,
Marien- und Stiftschor, und überallhin drang sein Blick forschend hinauf
in die hochaufsteigeude Kuppel und in die weitgesprengten Kreuz- und
Tonnengewölbe und haftete sinnend an den Gewölbedecken, Bogenfeldern
und Wandflächen. Im Königschore angekommen, bemerkte einer der
Begleiter: „Hier sind die Kaiser begraben." Der König stand dort
lange gedankenvoll still vor den Grabmalen Rudolfs von Habsburg und
Adolfs von Nassau. Sodann verließ er den Dom schweigend. Aber
die Prüfung war vollendet. In die Vorhalle zurückgekehrt, wendete sich
der König zum Bischof von Speier und sprach: „Der Dom wird ge-
malt." Das Wort flog rasch unter die umherstehende Menge, und all-
gemeiner Jubelruf antwortete dem königlichen Entschlüsse. Alle Herzen
erfüllte hohe Freude. Unter lauten Segenswünschen fuhr König Ludwig
wieder von dannen.
„Der Dom wird gemalt." So sprach der König; und sein Wort
ist That geworden. An dem nämlichen Tage noch, als er Speier wieder