1884 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
315
Sie hielt ihn lange fest umfangen
Im liebereichen Mutterkuß,
Und netzte seine schönen Wangen
In ihrer Thränen Segensfluß.
Jsabella Braun.
Mosaik.
Mosaik, vielleicht von ähnlichen Arbeiten in den Musengrotten so
benannt, ist Malerei mittels kleiner farbiger Stückchen oder Stifte von
Stein oder Glas. Schon im höchsten Altertume war diese Kunst im
Oriente, zumal auch bei den Juden, bekannt und geübt. Aus dem Oriente
verbreitete sie sich nach Ägypten und Griechenland, und glaublich unter
Sulla nach Nom. Sie war jedoch zunächst nur gebraucht zum Schmucke
von Fußböden in Tempeln und Privatwohnungen. Zur Darstellung
von eigentlichen Wandgemälden wurde sie erst in der christlichen Zeit,
besonders seit dem vierten Jahrhunderte, angewendet.
Die christliche Kunst benutzte diese Art der Malerei vornehmlich
wegen ihrer Gediegenheit und unzerstörbaren Dauerhaftigkeit, Eigenschaften,
die bei bildlicher Wiedergabe der ewigen christlichen Wahrheiten besonders
in Anschlag kommen mußten; und die zahlreichen noch heute erhaltenen
Mosaiken in den verschiedensten Orten des Morgen- und Abendlandes,
besonders in Nom, Navenna und Konstantinopel, zeugen für die Bevor-
zugung und die große Liebe, mit der diese Kunst in der Kirche gepflegt
wurde. Die Absiden1 leuchteten in Gold und heiligem Bildwerke aus
Mosaik, und selbst die Hochwände der Kirchen waren mit solchen Ge-
mälden der herrlichsten Art bekleidet. Die Glanzperiode der Mosaik-
malerei war die Zeit vom vierten Jahrhundert bis zum Ende des sechsten;
doch wurde sie noch bis ins zehnte und elfte Jahrhundert herab allge-
mein geübt, und zwar vorzugsweise in Italien und bei den Griechen; ja
noch im Jahre 1185 wurden gerade jene umfangreichen und formschönen,
dabei ganz an die Tradition dieser Kunst sich anschließenden Mosaiken in
der Palastkapelle zu Palermo ausgeführt. Die älteren Mosaiken zeigen
einen höchst ernsten und würdigen Charakter, und bestimmen auf lange
Zeit für die gesamte bildende Kunst, besonders auch für die Wand- und
Miniaturmalerei, den überall wiederkehrenden, eigentümlichen, kirchlichen
Typus. Erst mit dem vierzehnten Jahrhundert erhielt auch die Mosaik-
malerei eine größere Freiheit der Gestaltung, bis man zuletzt dieselbe ge-
radezu unter die Anforderungen der gewöhnlichen Malerei stellte und
zur Kopierung ihrer Leistungen benützte, dadurch aber auch sie ihres
tnonumentalen Charakters entkleidete.
1 Überwölbte halbrunde Altarnischen.