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1. Mancherlei für Jung und Alt - S. 457

1884 - Freiburg im Breisgau : Herder
457 Zauberbecher des ersten Tages bis auf die Neige geleert. — Im Kinder- herzen liegt eine tiefe Wehmut über dahingeschwundene Freuden, wie ein Todesengel nistet sich die Nacht mit ihren schwarzen Flügeln ins Gemüt ein, und was ist es anders, als der halbbewnßte Schmerz über irdische Vergänglichkeit und die halbbewußte Sehnsucht nach einem dauernden Zustande von Glück und Seligkeit, wenn selbst schon die Angen des Kindes beim Hereinbrechen der Dämmerung nach einem fröhlich und in freudiger Aufregung verlebten Tage sich mit Thränen füllen, die dem dahingeschwundenen Tage ein Lebewohl für die Ewigkeit nachzurufen scheinen, denn er kehrt nimmer, nimmer wieder. Beim Abendessen kamen Qualen zum Tagesschluß. Die Großmutter rannte Sturm mit Suppe, — zurückgeschlagen; mit Gesottenem und Ge- bratenem — es half alles nichts, nur schwarzes Landbrot mit Butter und Honig wollte ich haben, ich mußte meinem Vorhaben getreu bleiben, auf das hatte ich mich ja auch schon so oft gefreut in den öden Schulstunden zu Wien. Dann ging's zum Himmelbette. Was war das für ein Kolosseum von einem Bett! Es hätte können als ein Modell der Festung Belgrad hergezeigt werden. Die Müdigkeit arbeitete an den Augendeckeln, und hätte die Mutter mich nicht das Abendgebet laut her- sagen lassen, das Söhnlein würde sich für diesmal sicher Dispens dafür erteilt haben. Die Kindheit ist eine Alchimistin der Poesie, ihr wird alles unter der Hand zu Gold — sie weiß überall einen dichterischen Zauber zu finden oder hineinzulegen. Wenn am Morgen die Menge ungeduldiger Bewohner verschiedener Schweinkoben an die Magd, welcher die Fütterung oblag, ihre Kollektiv- bittschrift einreichten, wenn sie bald Solo, bald Duett, bald alle mit- einander und durcheinander vom Diskant des Spanferkels bis zum durch- gebildeten Baß des alten „Saubären" (mit welchem gewaltigen Wort in jener Gegend das Tierindioidnum bezeichnet wird, was feiner gebildete Deutsche das Schweinemännchen heißen) ihren Gefühlen musikalischen Ausdruck zu verleihen suchten, so ergötzte mich dieser Lärm derartig, daß ich mich geradeswegs zu den Konzertsälen hinbegab, ans denen es heraus- tönte: und wenn die Sänger beim Herannahen der Magd mit dem sogenannten „Schweintrank" ihre verschiedenen Rüssel über die Holz- planken ihrer kleinen Höfe legten und aus allen Fugen ihrer Ställe herausbohrten, und in schnellerem Tempo und mit gehobenerem Geschrei von ihrem aufrichtigen Verlangen und ihrer seelenvollen Stimmung Kunde gaben, so war damals mein Vergnügen an Gesang und Mimik gewiß nicht geringer, als das eines Musikfreundes an einer Produktion in der komischen Oper zu Paris. Wie anregend wirkte auf mich der Wald mit seinen Fichten und
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