1884 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
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südlichen Himmel, sie sind vereint, feindlich getrennt aber den bei weitem
größten Teil des Jahres bei uns." Selbst in der Heimat wollte er
nicht die Erinnerung an sein geliebtes Italien missen. Ein Gemach
neben seinem Wohnzimmer enthielt nur Gemälde von Catel, Rottmann,
Bürkel u. a., welche anmutige Gegenden oder Scenen aus dem fröhlichen
Volkstreiben Italiens darstellten.
Nur wenige Vertraute pflegten ihn zu begleiten. Graf Karl Seins-
heim, Graf Pocci, ein Adjutant, ein Sekretär, ein Leibarzt und einer der
besonders bevorzugten Künstler, Dillis oder Gärtner oder Heinrich Heß,
bildeten gewöhnlich sein kleines Gefolge. Einer seiner Sekretäre, Fahrm-
bacher, zeichnete Erinnerungen von den Reisen, die er in des Königs
Begleitung machte, auf; seine Mitteilungen liegen vornehmlich unserer
Darstellung zu Grunde.
In Innsbruck wurde gewöhnlich zuerst Halt gemacht. Der König
wohnte dort in einem bescheidenen Gasthause, dessen Eigentümer zur Zeit
des Tiroler Aufstandes gefährdete bayerische Soldaten versteckt und da-
durch gerettet hatte. Venedig, Verona, Padua wurden abwechselnd be-
sucht. Längern Aufenthalt pflegte dann der König im schönen Florenz
zu nehmen, wo ja Donatellos, Brunelleschis, Michelangelos Meisterwerke
immer wieder zu neuer Betrachtung und Bewunderung anregten.
In den ersten Jahren nach seiner Thronbesteigung weilte der König
wiederholt einige Wochen auf der Villa Colombella bei Perugia, wo ihm
der Gatte seiner geistvollen Freundin, Marchese Florenzi, gastliches Asyl
bot. Von diesem myrtenumschatteten Landhause aus wurden dann Aus-
flüge nach dem ehrwürdigen Perugia oder nach der romantischen Ein-
siedelei auf dem Monte Corona oder nach Assisi unternommen. Sonntags
kamen der Bischof von Perugia und andere Rotabeln der Stadt; hierher
kamen auch Klenze, Schwanthaler, Eberhard und andere Künstler, die
auf der Reise nach Rom begriffen waren. Es waren fröhliche Tage,
nichts erinnerte an die Etikette eines Hofes. Der König war ein
eifriger Spaziergänger. Wenn sich morgens seine Begleiter erhoben,
kehrte er schon von einem Spaziergange in der Morgenkühle zurück. Bei
der Tafel setzten sich alle, wie es eben kam, zu Tische. Der König war
ein Freund des Risotto, gute Fische lieferte der nahe Trasimener See,
selbstgezogene Weine die umliegenden Rebenhügel. Nur die Ankunft des
Kuriers aus München brachte von Zeit zu Zeit ein lärmendes Inter-
mezzo in die stille Zurückgezogenheit. Der König war selbst immer der
erste, der die Treppen herabsprang und mit beiden Armen die Briefe in
Empfang nahm, die ihn über das Wohlbefinden der Seinigen beruhigten
und von den Vorkommnissen in der Heimat in Kenntnis setzten.
Der Hauptmagnet blieb aber Rom.