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1. Mancherlei für Jung und Alt - S. 473

1884 - Freiburg im Breisgau : Herder
I — 473 — so beträchtlichen Teil seines Gewichtes erleichtert, steigt von neuem in die Höhe. Mit schneller Geistesgegenwart packt Nolier das Fangseil, und sich mit seiner ganzen Last anhängend, vermag er den Lauf des Ballons für Sekunden zu verzögern. Deschamps benutzt diese kostbaren Augen- blicke. Auch er schwingt sich aus dem Nachen und stürzt von 20 bis 25 Meter Höhe hinunter in den Schnee, — sie sind gerettet! gerettet! Wer wollte beschreiben, was sich nicht beschreiben läßt: nach der unendlichen Not das unendliche Glück der Gefährten! Sich stumm die Hände drückend, standen sie da, standen wieder auf dem Boden der mütterlichen Erde. Der Ballon freilich und die Tauben schienen verloren zu sein. Es war am Freitag den 25. November, halb 3 Uhr Nachmittags. 15 Stunden hatten die beiden Männer in einem elenden Weidenkorbe zwischen Leben und Tod geschwebt, und nur ein Wunder hatte das Unab- wendbare von ihnen abgewendet. Aber wo befanden sie sich? Wohin sollten sie ihre irren Schritte richten? Welcher Empfang wartete ihrer? Das waren die nächsten Fragen, und freilich waren dieselben nur zu geeignet, ihre dankbare Freude wiederum in die düsterste Sorge zu ver- kehren. Ohne Lebensmittel, ohne wärmere Kleider — denn selbst ihre Decken hatte der Ballon mit fortgeführt — in einem eisigen Klima, aus unwirtschaftlichen schneebedeckten Bergen, wo jede Spur des Lebens er- loschen zu sein schien, sahen sie sich in der That nur anderen und kaum geringeren Schrecken preisgegeben. Sie versuchen von den steilen Höhen herunterzusteigen; hier über Gletscherfelder, dort an Abgründen hinunter- gleitend, stürzen sie bald in tiefe Eisspalten, bald sinken sie bis an die Brust in Schneelöcher hinein. Sie forschen nach allen Seiten, sie rufen, sie horchen. Aber nirgends eine Antwort oder ein lebendes Wesen. Nur ein einziges Mal glauben sie in der Ferne eines Wolfes ansichtig geworden zu sein. Endlich, nach langen Täuschungen und Mühen, entdeckt Rolier die Spuren von Schlitten, welche sich nach Süden hinziehen; sie folgen dem glückverheißenden Zeichen und erreichen nach mehrstündiger Wanderung, während ihr Schuhwerk in Fetzen um die erstarrten und blutenden Füße hängt, eine halbverfallene Hütte, deren Eingang von Schneewänden fast völlig versperrt ist. Gerettet zum zweitenmale! Sie werfen sich auf den Boden der Hütte nieder, sie graben sich in die schützende Schneedecke ein und versuchen zu ruhen. Aber die unge- heure Aufregung läßt sie die Wohlthat des Schlafes nur kümmerlich schmecken; auf Stunden trauriger Lethargie folgen andere eines von Fieberschauern und wilden Träumen unterbrochenen Schlummers, bis endlich der Morgen des neuen Tages die Schiffbrüchigen von ihrem Lager emportreibt.
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