1884 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Führer, Anton, Hense, Joseph
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
- Geschlecht (WdK): Jungen
A. Epos. I. Das Volksepos. 15
selbst Dichter, übten und pflegten die edle Kunst, wo immer nur Gelegen-
heit sich bot.
4. Die Anregung zur Poesie seitens der Troubadours
(z. B. Vertrau de Born (Uhland)) in der Provence, wo schon früh die
lyrische Poesie in Darstellung von Liebe und Galanterie zu kunstreicher
Ausbildung gelangt war, und seitens der Trouvöres* im nördlichen
Frankreich, welche vorzugsweise epische Stoffe behandelten und in diesen
den deutschen Epikern reiches Material boten.
Gepflegt wurden in dieser Periode: A. Epos; B. Lyrik;
C. Didaktik.
A. Kp o s.
8 7.
Das Epos tritt in zwei Gestaltungen ans, als Volksepos und
als Kunstepos, welche nach Inhalt, Quelle und Behandlung desselben
und nach der äußeren Form wesentliche Verschiedenheiten zeigen.
I. Das Dolksepos.
8 8.
Der Volksgesang wird geübt aus Markt und Straßen von Volks-
sängern, sogenannten fahrenden (reisenden) Leuten, die bisweilen auch
Spielleute oder nach dem begleitenden Instrumente Fiedeläre heißen. Die-
selben nehmen ihre Stoffe aus der heimatlichen Heldensage, die sich in
alten Liedern viele Jahrhunderte hindurch erhalten hatte.
Der Inhalt dieser Heldensage ist rein menschlicher Art, schmucklos,
einfach und naturwahr, daher nicht selten derb und roh; er trägt ganz
das Gepräge der altheidnischen Germanenzeit. Bemächtigen sich Dichter
dieser Stoffe, um aus ihnen ein Epos zu gestalten, so stehen sie den-
selben objektiv gegenüber, ohne irgendwelche Äußerungen ihres eigenen
Empfindens einzufügen. Sie lassen die Sache durch sich selbst wirken
und die Handlung sich entwickeln aus dem Charakter und den Leiden-
schaften der auftretenden Personen.
Auch die äußere Form, welche mit der Melodie des Volksgesanges
eng zusammenhing, ist eigenartig, die Form der sogenannten Nibelungen-
strophe. Diese besteht aus 4 paarweise stumpf gereimten Zeilen, die jede
durch eine starke Cäsur in 2 Hälften geteilt sind. Die erste Hälfte enthält
3 Hebungen und schließt klingend; die zweite enthält gleichfalls 3 He- 1
1 Beide Wörter von trouver (trondor und trobar) — erfinden.