1884 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Führer, Anton, Hense, Joseph
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
- Geschlecht (WdK): Jungen
§ 15. Hartmann von Aue.
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sehen. Dieser Entschluß des Ritters sühnt alles, was er je gefehlt haben
mag: Gott nimmt den reinen Willen für die That, und daher
erfolgt die Heilung infolge dieser Sühnung. Aber auch noch andere
schöne Gedanken erkennen wir in dem Gedicht: es „lehrt die süße Gewalt
einer vom Dichter keusch verborgenen Neigung; es lehrt, daß Treue durch
Gottes Huld zum Ziele gelange, daß rücksichtslos nach Besserung der
irdischen Verhältnisse ohne Gott zu streben sündig ist, daß aber ein
liebevolles, minnigliches Wesen selbst die Unterschiede ausgleicht, welche
Stand und Reichtum sonst darstellen".
Ihm dienten bei den Leuten. '
Nun beginnt er euch zu deuten
Eine Mär, die er geschrieben fand.
Er hat sich darum genannt,
Daß er für die Müh' und Zeit,
Die er auf die Arbeit
Gewandt, den Lohn erschaue,
Daß wer sich d'ran erbaue,
Dereinst nach seinem Ende
Zu Gott empor die Hände
Hebe für sein Seelenheil.
Man sagt, ihm werde selbst jn teil,
Der für den andern bete,
Was er für den ersiehte."
(Simrock.)
Nach dieser Einleitung beginnt die Erzählung.
In Schwaben lebte ein Ritter Heinrich von Aue, geehrt und berühmt
wegen seines Reichtums, seiner Macht und seiner ritterlichen Tugenden. Als er
aber weltlicher Lust zu sehr genoß, und „sein hoher Mut verkehrt ward in ein
schmähliches Leben", da ergriff ihn, wie einst den frommen Hiob, der Aussatz.
„Ihn ergriff die Miselsucht.
Als man diese schwere Zucht,
Die der Herr ihm sandte,
An seinem Leib erkannte,
Da ward er jedermann zur Last.
Mißnrutig und bald, wie mit der Welt, so auch mit Gott zerfallen, verwünscht
er den Tag, an welchem er geboren. Doch noch hegt er die Hoffnung, daß berühmte
Arzte in Montpellier und Salerno ihn heilen würden. Seine Hoffnung sollte jedoch
zu nichte werden, denn in Salerno vernimmt er die Kunde, daß nur dann Rettung
ihm werden könne, wenn eine fromme Jungfrau in ihres Herzens Unschuld freiwillig
für ihn ihr Herzblut hingäbe. Verzweifelnd kehrt er heim und verschenkt alle seine
Güter zu wohlthätigen Zwecken bis auf einen Meierhof, dessen Pächter ihn freundlich
aufnimmt. Während nun fast alle den aussätzigen Herrn meiden, soweit es irgend
Der ein so willkommener Gast
Der Welt gewesen war vordem,
Nun ward er ihr so ungenehm,
Daß alles floh vor seinem Blick."
„Ein Ritter war wohl so gelehrt,
Daß er in Büchern unbeschwert
Las, was da geschrieben stand.
Hartmann ward er genannt
Und war zu Aue Dienstmann.
Wenn wo er Bücher gewann,
So gereut' ihn keine Mühe,
Spät oder frühe,
Bis er was aufgefunden,
Womit er läst'ge Stunden
Erträglich mochte machen,
Oder von solchen Sachen,
Die da Gott zu Ehren
Und die eig'ne Gunst zu mehren