1884 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Führer, Anton, Hense, Joseph
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Dritte Periode, von 1150—1300.
Gebeut von hoher Zinne.
Die ist am Hofe Kämmerin,
Die sei der Schar Geleiterin,
Die kann den Weg ihr weisen wohl,
Die weiß wohl, wo sie suchen soll
Der Minne Melodieen.
Sie und die da mit ihr ziehen,
Die mögen immer singen,
Daß sie zu Freuden bringen
Ihr Trauern und ihr sehnlich Klagen;
Das geschehe noch in meinen Tagen!
(Simrock.)
Zum Ritter geschlagen, wird Tristan bald darauf von seinem Oheim Marke
als Brautwerber nach Irland geschickt, um die schöne Königstochter Isolde für ihn
zu gewinnen. Nachdem er mit glücklichem Erfolge seinen Auftrag vollführt und
mit Isolde die Heimfahrt nach Kornewal angetreten, trinken beide, ohne es zu
wissen, einen Liebestrank, den die Mutter Isoldens einer Kammerfrau gegeben
für den schon alternden Marke und die junge Isolde, damit ihre Herzen in treuer
Liebe vereinigt blieben. Die heftige Leidenschaft, die jetzt in beiden gegen ihren
Willen entbrennt, ruft bald die höchste Seligkeit, bald die gedrückteste Stim-
mung hervor. Auch als Isolde sich mit Marke vermählt hat, können sie von ihrer
Liebe nicht lassen und hintergehen durch ein unwürdiges Gewebe von schmählichen
Täuschungen denselben eine Zeitlang, bis sie entlarvt und in die Verbannung geschickt
werden. Als endlich eine Aussöhnung mit Marke stattgefunden, zieht,Tristan auf
Abenteuer aus und findet sich von einer zweiten Isolde in Liebe gebunden, ohne
jedoch der ersten vergessen zu können. Hier bricht Gottfrieds Gedicht ab. Es hat
später eine doppelte Fortsetzung gefunden, beide mit demselben Ausgange der
Wiedervereinigung, der nochmaligen Trennung und des Todes der beiden Liebenden,
auf deren Grabe eine Rose und eine Rebe ihre Zweige dicht ineinander schlingen.
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Nachblüte und Verfall des Kunstepos, 1230—1300.
Die übrigen epischen Dichter der ersten Blüteperiode bemühen sich
den vier großen Vorbildern es nachzuthun, namentlich dem gepriesenen
Gottfried, dessen Formgewandtheit und Klarheit der Darstellung sie zur
Nacheiferung anfeuerte. Jedoch sind sie als Nachahmer wenig frei und
selbständig und einer dichterischen, glücklich schaffenden Phantasie meistens
mehr oder weniger bar.
Bemerkenswert sind aus der großen Reihe dieser Dichter nur:
Konrad Flecke, ein schwäbischer Ritter, der nach einer proven^alischen
Erzählung die Kinderliebe von „Flore (Flos — Rose) und Blanscheslur" (Lilie), den
sagenhaften Großeltern von Karl dem Großen, erzählt. Ihre Minne ist eine durch-
aus reine, getragen von echt deutscher Treue.
Rudolf von Ems (— Hohenems im österreichischen Vorarlberg), der, ein
Lobredner Gottfrieds, nnr die Form nachahmt, sich aber von den weltlichen Grund-
sätzen desselben ganz entfernt. Sein Ziel geht dahin, nicht so sehr zu unterhalten
als zu erbauen. So sind seine Dichtungen, ähnlich denen Hartmanns, vielfach von
christlichen Jdeeen durchzogen. „Der gute Gerhard", eine poetische Erzählung, predigt
in der Geschichte eines Kölner Kaufmanns, welcher englische Ritter und eine
norwegische Königstochter aus der Sklaverei der Heiden losgekauft und die Königs-