1884 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Führer, Anton, Hense, Joseph
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
- Geschlecht (WdK): Jungen
§ 21. Walther von der Vogelweide.
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Der sagt, daß wer den Besen spart,
Einst der Versäumnis Lohn gewahrt:
Den Ungestraften mangelt Zucht und Ehre.
Wie schön vor Zeiten war die Erde!
Nun ist sie widrig von Gebärde:
So war es nie zuvor im Land.
Die Jugend will der Greisen Haupt verhöhnen.
Ja spottet, spottet nur der Alten!
Ein Gleiches ist euch aufbehalten,
Wenn erst eure Jugend schwand:
Dann erntet ihr den Lohn an euren Söhnen:
Das ist mir, mir ist mehr bekannt. (Simrock.)
Abdankung.
Verwahrlost Kind, du bist zu krumm,
Gerade biegt dich niemand mehr;
Du bist dem Besen leider schon zu groß
Und noch zu klein dem Schwerte:
Schlaf in Ruhe denn vor mir.
Ich schelte mich nun selber dumm:
Was ehrt' ich dich auch stets so sehr?
Ich barg dein Ungeschick in Freundes Schoß,
Dein Leid war mein Gefährte,
Tief verneigt' ich mich vor dir.
Nun lass' ich deine Schule meisterlos: nicht meistern
kann ich dich.
Kann es ein andrer, daß du Freude d'ran erlebst, so
freut es mich;
Doch weiß ich wohl, sobald sein Reich zu Ende geht, raubt seiner
Kunst Unsitte Dach und Zier. (Simrock.)
Die höheren Lebensjahre stimmen den Dichter ernster: sein Minne-
lied ist fast ganz verstummt; er klagt in herben Tönen über den Verfall
der Minne, der Zucht und heiteren Fröhlichkeit, über die Vergänglichkeit
und Nichtigkeit alles Irdischen, die ihm bei einem Besuche seiner Jugend-
heimat besonders auffüllt.' Sein Sinn richtet sich auf himmlische Dinge;
er sehnt sich nach dem heiligen Lande, in der freudigen Hoffnung, daß dort
all sein Leid gestillt, und seliger Friede über ihn kommen werde. Noch
erhebt sich seine Muse zu einem Marienleich voll würdiger Kraft und
erhabener Feierlichkeit, da raffte ihn der Tod, etwa gegen das Jahr
1230, dahin und gab ihm die letzte Ruhestätte auf dem stillen, von
einem Kreuzgange umschlossenen Hofe des neuen Münsters zu Würzburgi.
1 Nach einer handschriftlichen Sage soll Walther in seinem Testamente verfügt
haben, daß auf seinem Grabstein den lieben Vögelein täglich dreimal Weizenkörner